Das Kreuz der Kinder
vor Meuchelmord nicht zurückschrecken!
Ansonsten mach dir kein zu gefälliges, zu bequemes Bild
von deinem Gott: Allah gibt Leben und er nimmt es – wie
es ihm, nicht uns, gefällt.«
»Inch’allah!« schloß an seiner Stelle der frühreife Knabe
den Sermon, spöttisch, trotzig, nicht resigniert, sondern
hörbar der Meinung, daß er auch mit Rik nicht darüber
reden konnte.
»Du gehst jetzt beten«, forderte Rik ihn unwirsch auf.
»Dann kannst du mich zur Baustelle des Turms im Wasser
begleiten. Heute wird der Hebelmechanismus eingebaut,
der das eiserne Tor des Burj fil Bahar zum Meer hin öffnet
und gleichzeitig den Fluchtweg wieder verschließt«, setzte
er versöhnlich hinzu, denn er wußte, mit welcher
Begeisterung Karim sein Interesse für Kriegsmaschinerie
teilte. Diese Art von Ingenieurskunst war Rik vom eigenen
Knabentraum erhalten geblieben, ein Erbauer von
Kathedralen zu werden. Komplizierte und phantasievolle
Wehrtechnik ersetzte ihn zwar nicht, verschaffte aber dem
Asketen mehr als nur Befriedigung. Es war die einzige
Leidenschaft, zu der Rik noch fähig war.
»Wie nennt Ihr Euch, woher kommt Ihr?« fuhr Rik den
stämmigen Mann an, der da verlegen im Saal der Bücher
vor ihm stand. »Was hat Euch hierher verschlagen?«
Der Kerl konnte schließlich nichts dafür, daß mit seinem
Erscheinen die Rik aufgehalste Last der Aufzeichnung der
Ereignisse des Jahres 1212, dieses Wühlen in den
Eingeweiden der eigenen Vergangenheit, nunmehr
sichtliche Formen annahm. Um wie viel lieber hätte Rik
mit eigenen Händen zugepackt, um das Fallgitter in seine
Gleitschiene zu bringen, den Sitz der maßgefertigten
Ketten auf ihrem Rollenlager zu prüfen, um das absolut
synchrone Verschließen des in den Felsen geschlagenen
Tunnels mittels der eingefahrenen Eisenleiter zu
gewährleisten. Als notwendige Installation einer Anlage
zur Beförderung von Abfällen aus dem ›Palast des
Sohnes‹ ins Meer hatte er dem argwöhnischen Emir die
Arbeiten deklariert, die in Wahrheit ein Wunderwerk der
Technik zur Sicherung des Überlebens des wichtigsten
Bewohners waren. Darauf konnte Rik nur insgeheim stolz
sein. Nicht, daß Kazar es ihm untersagt hätte, der Emir sah
keine Gefahren und hielt alle Verbesserungen, ja selbst die
Instandhaltung der Verteidigungsanlagen für höchst
überflüssig: ›Wenn man den Frieden in Frage stellt, hat
man sich den Krieg schon ins Haus geladen.‹ Riks
Meinung war das nicht. Nur durch ständiges Hinterfragen
der Absichten und Fähigkeiten eines möglichen Gegners
konnte sich die Festung Mahdia einigermaßen sicher
fühlen, eine Gewißheit gab auch das nicht.
Und jetzt mußte er sich mit diesem Marvan Bou kitab,
dem deutschen ›Bibliothekar‹ des Hafsiden, befassen, der
Hände hatte wie ein Gärtner und dessen gedrungene Statur
und niedrige Stirn auch wenig Feinfühligkeit im Umgang
mit Sprache oder Schrift verhießen.
»Marius von Beweyler, zu Diensten, hoher Herr«,
druckste der Befragte hervor, und als er keine Reaktion
auf diese Einleitung erhielt, fuhr er eilfertig fort. »Aus der
Eifel, im Deutschen, nicht weit vom Rhein –.«
Er hielt inne, während Rik für einen kurzen Augenblick
geneigt war zu offenbaren, daß diese Gegend auch seine
Heimat war, doch dann hatte er solche
landsmannschaftliche Vertraulichkeit wieder verworfen
und sich nur zu einem inquisitorischem »Also Erzbistum
Köln?« durchgerungen. »Welcher Orden?«
»Ordinis fratrum minorum.«
Dieser ›Vater der Bücher‹ ließ sich die Würmer einzeln
aus der Nase ziehen.
»Seit wann sind die Anhänger des Franz von Assisi
bettelnd bis ins Rheintal vorgedrungen?«
Der Mönch gab sich unerschrocken. »Ich bin bis nach
Umbrien gelaufen, um Franz zu folgen! Ein Heiliger!«
»Noch nicht!« wies Rik ihn zurecht. »Und was hat Euch
aufs Cap von Iffriqia verschlagen? Die Piraten des
Hafsiden haben Euch doch nicht aus dem Herzen der
deutschen Marken entführt? – Zumal von Eurem Franz
auch kein Lösegeld zu erwarten ist!«
Der Mönch ließ den Spott geduldig über sich ergehen.
»Im Delta des Nils! Der spanische Kardinal Pelagius –.«
hob er an, doch Rik schnitt ihm das Wort ab.
»Ach du liebe Mutter Gottes im Rosenhag!« hob er
abwehrend die Hände. »Über diesen Unglücksraben in
Purpur erzählt Ihr mir ein anderes Mal!«
Er setzte wieder eine sachliche Miene auf. »Jetzt geht es
darum, daß Ihr – wörtlich und ohne Schnörkel –.«
»Ich verstehe: sine glossa! «
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