Das Kreuz der Kinder
Feder!«
»Wir werden ihn prüfen, belohnen oder zum Teufel
jagen!«
Rik sah, daß er sich nicht mehr herauswinden konnte.
Sie waren am Ende der Wendeltreppe angelangt und traten
hinaus in einen der Innenhöfe des großen Palastes. Die
Wachen sprangen eilfertig hinzu und nahmen dem Emir
die Fackel ab, traten dann aber ehrerbietig zurück.
Rik unternahm einen letzten Anlauf. »An Ansporn habt
Ihr nichts vermissen lassen, edler Kazar, noch mangelt es
mir an Wißbegierde, in der Zisterne meiner abgestandenen
Jugendjahre nach verlorenen Schätzen zu fischen –.«
Er legte ums andere Mal einen tiefen, Mitleid
heischenden Seufzer ein. »Mir fehlt die Übersicht, der
Gesprächspartner im Erinnern. Ich fühle mich als
Schiffbrüchiger in den Wellen des Meeres.«
Die Vergeblichkeit seines Bemühens vor Augen,
steigerte er dennoch seinen Ausdruck. »Es überkommt
mich wieder die niederschmetternde Erfahrung dumpfer
Ohnmacht am Rande der Selbstaufgabe, aus der mich nur
der Überlebenswille meiner Schicksalsgenossen rettete,
der gemeinsame Kampf an der Seite des verschollenen
Gefährten –.«
Der Emir lächelte: »Ich habe mich – im Gegensatz zu
dir, Richard van de Bovenkamp, in deine Lage versetzt. So
ist es mir gelungen, deinen treuen Gefährten Oliver
ausfindig zu machen.«
Wenn er stolz war auf seine Leistung, wußte er dies
mühelos zu verbergen. »Aus ihm ist ein guter Arzt
geworden, der zu Nefta, hinter dem Schott el-Djerid, am
Rande der Sahara, seine Heilkunst in den Dienst der
unwissenden Nomaden stellt«
Die Stimme des Emirs verfiel jetzt doch in den Tonfall
eines Festredners, der bei aller Lobpreisung des zu
Ehrenden die eigenen Verdienste nicht zu kurz kommen
ließ. Rik hörte nur die zuschnappende Falle. Schließlich
hatte er sie sich selbst gestellt. »Sein exzellenter Ruf ist
bis zu mir gedrungen, ich habe für dich Nachforschungen
angestellt und ihn bitten lassen, uns hier mit seiner
Anwesenheit zu beehren. Der berühmte Ali el-Hakim
sollte bereits auf dem Weg nach Mahdia sein.«
Rik umarmte den Emir und verabschiedete sich. Zwei
Wachen leuchteten dem ›Murabbi al-Amir‹ seinen Weg
über den Vorhof zum Qasr al-Ibn, dem Palais des Sohnes.
Eigentlich war es recht undankbar von ihm, nicht mehr
Freude über das bevorstehende Wiedersehen mit Oliver
von Arlon zu zeigen – Freude, die Rik erst jetzt richtig
verspürte, als er sich in seine Gemächer begab. Sie sollte
gewiß stärker sein als alle Bedenken und Skrupel, die
aufkommen mochten, wenn er bedachte, was bei einer
solchen Entblößung des eigenen Verhaltens in der so weit
zurückliegenden Geschichte zutage treten könnte. Rik
suchte und fand den Schlaf, der es ihm ersparte, weiter
darüber zu grübeln.
Der Emir lag noch lange wach. Er machte sich heftige
Vorwürfe. Nicht, daß er den Freund nunmehr soweit
gedrängt hatte, daß der keine Ausflüchte mehr fand. Das
war ein Spiel, das er hatte gewinnen müssen. Rik war kein
Sklave, sondern längst ein freier Mann und aus freien
Stücken war der Deutsche geblieben. Er hatte seinem
Glauben nicht abschwören müssen, und dennoch hatte
Kazar Al-Mansur ihm, dem Christen, die Erziehung
seines, ihres Sohnes anvertraut. Und jetzt stand sie wieder
leibhaftig vor ihm, er hatte ihr Bild beschworen, weil ihm,
dem Kleinmütigen, sein Wissen nicht genügte, das mit
dem Augenblick einsetzte, in dem er Melusine zum ersten
Mal gesehen hatte, und das damit enden sollte, daß er sie
zu seiner Frau machte. Sie war unberührt, gewiß, aber sie
hatte bis dahin ein Leben voller Abenteuer, Versuchungen
und Gefahren geführt, allein auf sich gestellt, wie es für
ein junges Mädchen in seiner Welt unvorstellbar war! Er
hatte sich felsenfest vorgenommen, nie Eifersucht auf Rik
und alle anderen aufkommen zu lassen, die diese Zeit mit
ihr geteilt hatten, bevor er sie in seine Arme schloß, doch
dieses nagende Nicht-Wissen, dieses Ausgeschlossensein
hatte ihm eine Unsicherheit zurückgelassen, unter der er
wie ein Hund litt, auch wenn er sie immer wieder beiseite
gewischt hatte.
Melusine konnte er nicht mehr fragen, die so
heißbegehrte Fremde war bei der Geburt ihres, seines
Sohnes Karim im Kindbett gestorben. Kazar hätte mit der
Erinnerung an die kaum Gezähmte leben können, an die
Wechselbäder zwischen der sprunghaften Leidenschaft
einer Gepardin, ihrem tobenden Widerstand, der Glut ihres
herrischen Verlangens, das erst in Zärtlichkeit umschlug,
als Allahs Ratschluß
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