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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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Schneckenhörner ausstreckt und sie verwirrt zurückzieht, wenn sie an etwas Schmerzvolles oder Rätselhaftes stoßen; ein Wesen, das aber trotzdem immer wieder einen neuen Anlauf nimmt. Es glitt nicht dahin, sondern krümmte und wand sich voran wie eine Armee rigellianischer Schaben oder irdischer Ameisen, die mit ihren schwarzbewaffneten Soldaten, Furieren, Kundschaftern, Schlächtern und Packträgern wie winzige Marsianer wirkten.
    Und sie waren tatsächlich kaum mehr als Ameisen. Er war nur eine Epidermiszelle eines Ungeheuers, das mit einem anderen Ungeheuer im Zweikampf stand und das um seine inneren Organe sehr besorgt war, an seine Haut jedoch keinen Gedanken verschwendete. Es hatte etwas beruhigend Abstraktes und Unpersönliches, mit so vielen anderen Männern derart vereint zu sein – nicht wegen eines gemeinsamen Ziels, sondern weil sie eben dem gleichen Ungeheuer angehörten, einem derart großen Ungeheuer, daß es durchaus für Schicksal und Vorbestimmung einstehen konnte. Die Gemeinschaft des Protoplasmas.
    Der blonde Offizier murmelte ein paar Worte, und einen Augenblick lang glaubte er, die ganze Armee hätte zu ihm gesprochen. Dann begriff er und justierte das Instrument, das sie aufstellten.
    Aber diese zwei oder drei Worte hatten ihn mit atemberaubender Plötzlichkeit in die unangenehmste aller trüben Stimmungen gestürzt. Was zuvor abstrakt gewesen war, hatte sich nun zu etwas Persönlichem entwickelt, und das war schlimm. Sich ein aus Menschen bestehendes Ungeheuer vorzustellen, ging ja noch an; aber das gefühllose, unvermeidbare Stoßen einer Nachbarzelle und den erstickenden Druck des dichtgepackten Ganzen tatsächlich zu spüren, war alarmierend. Er fuhr sich mit der Hand an den Kragen. Die bloße Luft schien seiner Haut das Drängen und Puffen ferner, unsichtbarer Individuen mitzuteilen. Das Aneinanderreihen der galaktischen Horde.
    Sie hatten einen kleinen Hügel erreicht, der das En de der Erhebung bildete, und er starrte nach vorn, wo die Luft klarer war. Er glaubte zu ersticken. Die neue Stimmung hatte ihn so völlig unvorbereitet getroffen wie die meisten Launen in letzter Zeit; sie war wie der explosi onsartige Ausbruch einer wilden, fremden und stets größer werdenden Dimension tief in seinem Inneren.
    Und dann sah er vor dem gewaltigen, phantastisch bewölkten Himmel wieder die Gesichter seiner Freun de, ordentlich nebeneinander, aber riesig wie ein Pantheon von Halbgöttern. So wie er diese Gesichter im Keller und seither noch mehrfach gesehen hatte; zum erstenmal jedoch alle zusammen. Die einzigen Gesichter, die im Kosmos eine Bedeutung hatten. Der schwarze George mit dem breiten Grinsen, das dümmlich wirkte, das aber alles andere als dümmlich war. Die hohlwangige Loren, die mit scheuer Klugheit zu ihm aufblickte und einen Einwand vorbringen wollte. Die dunkle Helen mit ihren stolzen, sanften Lippen. Und wieder der bleiche Kenneth mit seinen verhangenen abschätzenden Augen. Und Albert und Maurice und Kate. Und andere, deren Züge verschwommen blieben und ihn bedrückend an vergessene Freunde gemahnten – verklärte Gesichter, die warm und hell erglühten. So bedeutsam wie Symbole, doch erfüllt von der Quintessenz der Individualität.
    Er blieb still stehen und begann zu zittern, von einem großen Schuldgefühl übermannt. Wie hatte er sie vernachlässigen und im Stich lassen können? Seine Freunde, die einzigen Wesen, die seine Treue verdienten, seine einzige Insel im kosmosüberfluteten See der Menschheit, die einzigen Wesen von Wert und Bedeutung; Wesen, neben denen Rasse und Glaubensbekenntnis und Humanität sinnlos waren. Es war so selbstverständlich und unleugbar wie eine mathematische Regel. Bisher hatte er nur die Masken der Realität gesehen, die Spiegelungen, die Schatten. Jetzt stand er mit einem einzigen Schritt in der Dunkelheit neben den Göttern, die die Drahtzieher waren.
    Die Vision verblaßte, wurde zu einem Teil seines Geistes. Er wandte sich um, und es war, als sähe er den blonden Soldaten zum erstenmal. Wie hatte er jemals annehmen können, daß er und der andere Soldat etwas gemeinsam hatten? Der Abgrund zwischen ihnen war weitaus größer, als wenn sie unterschiedlichen Spezies angehört hätten. Wie hatte er jemals einen Gedanken an einen so dummen, schieläugigen, geschäftigen kleinen Organismus verschwenden können? Das sollte nicht noch einmal vorkommen. Es war jetzt alles überaus klar.
    »Wir kriegen sie bestimmt«, sagte der andere Soldat

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