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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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Eimer.
    Früher gab es das »Vorsichtsprinzip« des Handelsgesetzbuches (HGB). Danach durften Gewinne nur ausgewiesen werden, wenn man den Gegenwert auch wirklich in der Tasche hatte. Nach dem HGB hätte der Anleger die Aktien zu 80 000 Euro bilanziert. Wären sie dann wirklich zu 16 Euro verkauft worden, hätte er den Gewinn verbuchen können.
    Das Vorsichtsprinzip des HGB wirkte aber doppelt, denn im Falle sinkender Kurse hätte man die Wertminderung erfassen müssen. Wenn der Kurs der XY-Aktie zum 31.12. also beispielsweise nur bei 5 Euro gelegen hätte, wäre eine Abschreibung von 30 000 Euro (bei einem Bilanzausweis von 50 000 Euro) fällig geworden. Das Vorsichtsprinzip sagt also: »Was du als Gewinn noch nicht kassiert hast, darfst du dir nicht anrechnen, wenn jedoch ein Verlust droht, musst du ihn anzeigen.«
    So war die Lage bis vor etwa zehn Jahren. Dann schlug wieder einmal die Finanzindustrie zu. Seit 2003 müssen alle börsennotierten europäischen Gesellschaften nach »modernen« internationalen Standards bilanzieren. Das Vorsichtsprinzip des HGB galt plötzlich als nicht mehr zeitgemäß. Entscheidend war jetzt das, was die Börsen diktierten.
    Nach dem derzeit wichtigsten internationalen Rechnungslegungsstandard, den IFRS, bilanziert man zum fair value , wobei selbstverständlich als fairer Wert das zählt, was die Finanzgurus als angemessen empfinden. Also im Prinzip den Börsenkurs. In unserem Fall würde man folglich 16 Euro als angemessenen Wert zugrunde legen. Klar – er hat sich doch durch das Zusammenspiel streng rational handelnder Marktteilnehmer unter den perfekten Bedingungen des effizienten Kapitalmarktes herausgebildet!
    Natürlich müssen auch gemäß IFRS bei Kursverlusten Abschreibungen vorgenommen werden. Aber in BörsenboomPhasen oder im Falle heftiger → Blasen treiben die IFRS die → Bankenaktiva in die Höhe. Findet der Boom ein Ende oder – schlimmer noch – platzt die Blase, kommen die Banken aufgrund der dann notwendigen hohen Abschreibungen ins Schlingern (und müssen eventuell wieder vom Staat gerettet werden). Bei der nächsten Blase wird alles wieder gut.
    Die IFRS führen zu einem wellenartig verlaufenden Bilanzmuster:

    Das Vorsichtsprinzip des HGB würde die Sache von oben her glätten:

    Das alte Vorsichtsprinzip hinderte Unternehmen, vor allem Finanzunternehmen, daran, ihre Lage rosiger darzustellen, als sie ist. Wer verschiedene Wertpapiere für 1 Million Euro gekauft hat, kann im Falle eines zwischenzeitlichen Börsenhochs sich vielleicht als sehr viel reicher fühlen, wenn die Wertpapiere auf 2 Millionen Euro im Kurs gestiegen sind. Der Traum kann aber, gerade in den heutigen Zeiten, schnell wieder vorbei sein. Stehen die 2 Millionen in der Bilanz, sieht das für Bilanzleser gut aus; der Bilanzwert weist jedoch keine nachhaltige Substanz auf. Das Vorsichtsprinzip trägt dieser Tatsache Rechnung.

Index
    Charles Henry Dow (1851 – 1902), Wirtschaftsjournalist und Mitbegründer des Wall Street Journal , kam Ende des 19. Jahrhunderts auf die Idee, die Entwicklung des seinerzeit noch relativ jungen amerikanischen Aktienmarktes zu messen. Er setzte diese Idee mithilfe eines simplen mathematischen Verfahrens um, indem er die Schlusskurse von zwölf wichtigen amerikanischen Industriewerten addierte und die sich ergebende Summe durch zwölf teilte, also den durchschnittlichen Schlusskurs errechnete. Dieses Verfahren hat sich bis heute im Prinzip gehalten, nur gehen jetzt 30 Unternehmen in den Index ein, und das Divisionsverfahren wurde ein wenig komplexer, weil man Preisänderungen aufgrund von Dividendenzahlungen und eventuelle Änderungen beim Grundkapital der Unternehmen berücksichtigt. Edward David Jones (1856 – 1920) kümmerte sich um die Vermarktung des Indexes, das heißt um die Verankerung der schlichten Berechnung als »sehr wichtiges Börsenbarometer« in das Bewusstsein der Kapitalanleger. Und auch heute noch hat der die Namen des Erfinders und des Marketingstrategen tragende Dow-Jones-Index in der sogenannten Fachwelt nichts von seiner Bedeutsamkeit verloren, obwohl in der Folgezeit unzählige weitere Börsenindizes kreiert wurden.
    Die Konstruktion eines Börsenindexes läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Zunächst erfolgt eine Auswahl der zu betrachtenden Größen (beim Aktienindex natürlich eine bestimmte Zahl ganz bestimmter Aktien, bei einem Rentenindex entsprechend Schuldverschreibungen). Anschließend wird ein Berechnungsverfahren

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