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Das kritische Finanzlexikon

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Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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»unfähige« Insider zu identifizieren. In unserer börsenfixierten Gesellschaft wird allerhand Blödsinn angestellt.

Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
    Jan K. hat mit seinem Unternehmen einfach Pech gehabt. Er war eigentlich der perfekte Vertreter für die Branche. Ausbildung zum Tischler, Meisterprüfung, fundierte kaufmännische Kenntnisse, langjährige Berufserfahrungen als Betriebsleiter eines Messebauunternehmens; da war der Schritt in die Selbstständigkeit nahezu vorprogrammiert. Feine Möbel nach Maß, das war sein Konzept, keine Nullachtfuffzehnware, dafür maßgeschneiderte Sonderanfertigungen für eine betuchte Kundschaft. Edel, hochwertig und hochpreisig. Aber plötzlich war er außen vor. Zu viele Konkurrenten, zu wenige Betuchte, vielleicht auch nicht genügend zündende Ideen von seiner Seite. Als Jan K. an einem sonnigen Frühlingsabend eine finanzielle Bestandsaufnahme durchführt, verspürt er ein nicht gelindes Bauchgrimmen.
    Als Betriebsvermögen kann er die kleine Lagerhalle, in der er seine Möbel herstellt, inklusive Maschinen und sonstigem Inventar ins Spiel bringen. Das alles würde ihm mit einigem Glück vielleicht eine halbe Million einbringen. Betriebliches Barvermögen hat er kaum noch, sein Kassenbestand beläuft sich auf 124 Euro und 47 Cent. Dafür hat er sein Geschäftsgirokonto mit mehr als 10 000 Euro überzogen, und der Kredit, mit dessen Hilfe er seinerzeit die Lagerhalle mit Ausstattung finanziert hat, steht noch mit gut 550 000 Euro zu Buche. Hinzu kommen noch einige Rückstände, Lieferantenforderungen, ausstehende Steuerzahlungen, offene Telefonrechnungen etc., die zusammen inzwischen auf über 7 000 Euro angewachsen sind.
    Jan K. muss in die Insolvenz. Ob sein kleines Unternehmen noch eine Zukunft hat, ist höchst fraglich. Bei ihm droht nicht nur die Zahlungsunfähigkeit, er dürfte längst zahlungsunfähig sein. Und würde er sein Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH führen, läge bei ihm (beziehungsweise der GmbH, die als juristische Person eine eigene Rechtspersönlichkeit darstellt) ein weiterer Insolvenzeröffnungsgrund vor, die sogenannte Überschuldung: Die Schulden übersteigen das Vermögen um etwa 70 000 Euro.
    Generell liegt eine Überschuldung dann vor, wenn die Schulden einer natürlichen oder juristischen Person oder auch eines Staates bestimmte, definierte Größenordnungen übersteigen. In Jan K.s Fall stellen die betrieblichen Vermögenswerte (Aktiva) diese Größenordnung dar. Dies ist aber eine rein statische Sichtweise. Entscheidend ist ja die Frage, ob eine gegenwärtige Überschuldungssituation in eine dauerhafte zukünftige Zahlungsunfähigkeit münden wird. Erst dann wird eine anschließende Insolvenz zur Auflösung eines Unternehmens beziehungsweise zu einem schuldentechnischen Schlussstrich bei einer Privatperson (mit anschließender Schuldenbefreiung nach Ablauf von sechs Jahren des »Wohlverhaltens«) führen. So steht es in der Insolvenzordnung. In dieser dynamischen Sichtweise könnte Jan K.s finanzielle Lage sich durchaus noch nachhaltig verbessern. Wenn er eine Finanzspritze von 50 000 Euro erhält und damit sich zunächst von seiner Schuldenlast befreit, ferner innovative Einrichtungsideen hat und realisiert, viele Neukunden gewinnt, kann es sein, dass er in einigen Jahren wieder bestens dasteht.
    Von einer »geordneten Insolvenz« redete vor einiger Zeit der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler im Falle Griechenlands. Später redete er von »Resolvenz« – Griechenland soll ja wieder auf die Beine kommen. Aber wie sieht es mit der Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung und Insolvenz von Staaten aus? Insolvenz geht schon mal nicht. Es gibt kein völkerrechtliches Verfahren zur geordneten und rechtlich festgezurrten Abwicklung eines Staates. Staaten sind »insovenzunfähig«; eine → Staatspleite , im Sinne von Insolvenz, ist allein schon deswegen nicht möglich, weil autonome Nationen aufgrund ihrer Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenzen über unbegrenzte Einnahmepotenziale verfügen. Die Überschuldung eines Staates kann man hingegen definieren. Man benötigt lediglich einen fomalen Maßstab, zum Beispiel die Kriterien von → Maastricht . Hier wird das Bruttoinlandsprodukt (→ BIP ) als Bezugsgröße herangezogen. (Letztendlich sind es dann aber wieder die Kapitalmarktakteure, die solche Maßstäbe festzurren und entscheiden, ab welchem Punkt ein Überschreiten des Maßstabs nicht mehr tragbar ist.) Auch eine

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