Das kritische Finanzlexikon
– 1923) jedoch durchaus geläufig. Pareto hat eine Fülle wissenschaftlicher Theorien entwickelt, zum Beispiel das Pareto-Optimum, ein Zustand, in dem es nicht möglich ist, ein Individuum besser zu stellen, ohne dass zugleich ein anderes Individuum schlechter gestellt wird. Es gibt jedoch einen Begriff, für den Pareto ebenfalls verantwortlich zeichnet, und den inzwischen jeder kennt: homo oeconomicus .
Das ist jemand, oder besser, das soll jemand sein, der seine Entscheidungen ausschließlich aus streng rationalen Erwägungen heraus trifft und dabei immer sein Hauptanliegen, die in Geldeinheiten ausgedrückte Nutzenmaximierung, im Auge hat.
Es gibt Leute, die glauben immer noch an den Weihnachtsmann respektive den homo oeconomicus. Sie übersehen dabei schlichtweg, dass es sich hier um ein Modell. handelt. Modelle können nur vor dem Hintergrund der ihnen zugrunde liegenden Annahmen bewertet werden. Es zeugt also von Dummheit oder mangelndem Reflexionsvermögen, wenn man Börsen als effiziente Kapitalmärkte bezeichnet, die angeblich durch rationale Entscheidungen von lauter kleinen homines oeconomici gesteuert werden.
Wir haben es bereits bei den → Blasen gesehen: Gier und Angst sind die Triebkräfte im Auf und Ab der Kursbewegungen an den Börsen. Schon das hat mit Rationalität nichts zu tun. Betrachtet man das irrationale Handeln von Kapitalmarktanlegern differenziert, so begegnet man Verhaltensmustern, wie Martin Weber sie in seinem Buch Genial einfach investieren ausführlich beschreibt: Wir (Anleger) neigen dazu, unsere Kenntnisse und Fähigkeiten zu überschätzen, wir filtern Informationen in unserem Sinne, indem wir nur das sehen, was wir sehen wollen, wir erinnern uns eher an Erfolge als an Misserfolge – und so weiter. Die verhältnismäßig neue Forschungsrichtung behavioral finance befasst sich mit diesen Anlagefehlern und rückt so den homo oeconomicus ins rechte Licht.
Gleichermaßen konträr zur Rationalität von Entscheidungen steht die im modernen Finanzwesen vorherrschende Sucht nach Erschaffung neuer Finanzinstrumente. Diese Sucht, gespeist aus der Tatsache, dass bei unseren Finanzvermögen eine → abartige Entwicklung vorliegt, hat zu einer extremen Ausweitung der Angebotspalette von Anlagemöglichkeiten geführt. Und dies wiederum konfrontiert den Anleger mit dem Zwang, Wahlentscheidungen treffen zu müssen. Je größer die Zahl von Alternativen jedoch wird, desto deutlicher sinkt die Qualität einer letztendlich getroffenen Entscheidung. Auch dies ist ein nicht verwunderndes Ergebnis der modernen Verhaltensforschung.
Unser Leben besteht aus einer immensen Fülle von Entscheidungen. Dabei lassen wir uns von Gefühlen leiten – auch wenn finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Wer mit dem Fahrrad mehrere Kilometer durch Wind und Wetter strampelt, um 5 Cent für ein Paket Butter zu sparen, mag dies zwar unter dem pekuniären Aspekt als rational ansehen. Für andere ist dieses Verhalten lachhaft; es berücksichtigt weder Zeitaspekte noch eventuelle Folgekosten (Reinigung der verdreckten Hose etc.). Aber wenn der Betreffende es so möchte. Den homo oeconomicus können wir getrost in Pension schicken.
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Im Dienste des Kapitals
Durch IFRS werden Bankbilanzen noch schöner, und mit IFRS-Bilanzkosmetik geht es in die nächste Runde: Der Index muss geschlagen werden. Insider können hierbei wertvolle Dienste leisten. Hauptsache, es geht nicht in die Insolvenz . Man muss vor den Anlegern schließlich gut dastehen – nicht nur im Investmentbanking .
IFRS (International Financial Reporting Standards)
Ein Anleger hat am 5. Oktober 10 000 XY-Aktien zum Kurs von 8 Euro gekauft. Es war der heiße Tipp eines Freundes, der diese Anlageempfehlung einem der unzähligen Bösenjournale und -briefe entnommen hatte. Der Tipp war in der Tat sehr gut; bis zum 31. Dezember klettert die Aktie unaufhaltsam nach oben und steht zum Jahresende mit 16 Euro als outperformer da.
Wenn der Anleger eine Bilanz zum 31.12. aufstellen müsste – mit wie viel Euro wären die Aktien dann zu bilanzieren? Unter Zugrundelegung des aktuellen Zeitwertes ergäbe sich ein Gesamtwert von 160 000 Euro und damit stünde ein Hundert-Prozent-Gewinn in seinen Büchern. Dieser Gewinn hat jedoch einen Nachteil: Er wurde noch nicht realisiert. Wer weiß, vielleicht rauscht die Aktie bereits am 2. oder 3. Januar in den Keller, und damit wäre nicht nur der schöne Gewinn, sondern auch das gesamte Investment im
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