Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
lagen überall abgenagte bleiche Knochen herum. Mary schluckte. Man hatte sie in einen Albtraum verschleppt. In ihre persönliche Hölle.
»Wie gefällt dir mein Reich?«, fragte der Mann, der offensichtlich der Anführer der Truppe war. Immer wieder flackerte in seinem dunklen Antlitz das Gesicht ihres Vaters auf. Sie beschloss, ihn nicht mehr anzusehen. So konnte sie vielleicht die Taubheit überwinden, die sie überall in ihrem Körper spürte.
Mary schwieg. Sie zitterte vor Angst und Erschöpfung. Fieberhaft suchte sie nach einer Fluchtmöglichkeit. Ihre Überlebensinstinkte waren erwacht, aber Mary wusste, dass es nur einen Ausweg aus dieser Situation gab. Er würde ihr nicht wieder alles nehmen können. Diesmal käme sie ihm zuvor.
»Denk nicht einmal daran«, sagte der Mann. »Du gehörst mir, das weißt du doch. Von hier gibt es kein Entkommen.«
Mary schnappte erschrocken nach Luft.
Er beugte sich zu ihr vor, nahm eine Strähne ihres Haares in die Hand und schnupperte daran. »Du riechst gut.«
Sein stinkender Atem schnürte Mary die Kehle zu. »Bitte, bitte nicht. Bitte nicht. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann… dann tut es mir leid«, stammelte sie leise.
Er lächelte sie zahnlos an. »Aber nein, du hast alles richtig gemacht. Du hast zu mir gefunden, auch wenn ich etwas nachhelfen musste.«
Mary schüttelte den Kopf. »Was immer Sie wollen, Sie werden es nicht bekommen.«
Sein Schlag kam überraschend. Eine Hand klatschte ihr ins Gesicht, warf ihren Kopf zur Seite. Mary stöhnte auf. Sie fasste sich an ihre Wange und begann zu weinen.
Wieder kam er ihr nahe. Seine Finger fuhren sanft über ihren Handrücken. »Du musst nicht weinen«, sagte er. Dann wurde seine Stimme gefährlich leise. »Aber wenn du weiter so widerspenstig bist, muss ich dir Manieren beibringen.«
Diese Worte. Wie oft hatte sie diese Worte von IHM gehört. Ihr Blick begann zu flackern. Die Bilder aus der Vergangenheit wollten sie mit sich reißen. Drohend stand ihr Vater vor ihr. Mary war wieder das kleine Mädchen der Erinnerung.
»Warum?«, flehte Mary. »Warum bist du hier?«
Er legte den Kopf schief. Der harte Ausdruck in seinen dunklen Augen verschwand. Dann grinste er und seufzte auf. Der Mann sagte etwas zu ihr, aber Mary hörte eine andere Stimme.
»Endlich habe ich dich wieder. Jetzt werden wir glücklich sein.« Er legte eine Hand unter ihr Kinn, die andere legte sich auf ihren Oberschenkel.
Von jetzt an war Mary nicht mehr Mary. Sie war weit weg.
Kathys Herz hatte einen kurzen Moment ausgesetzt, aber dann hatte sie erkannt, dass die Fackel an der Wand befestigt war und ihr niemand hinter der Tür auflauerte. Ihr Blick huschte umher. Niemand zu sehen.
Die Tür öffnete sich in einen weitläufigen Raum, dessen Decke von massiven, runden Säulen getragen wurde. Links von ihr führte ein steinerner Gang in höhere Geschosse, rechts von ihr ging es über eine Rampe in die Tiefe. Irgendjemand hatte sich vor langer Zeit die Mühe gemacht, die Fläche des Raumes in kleine, rechteckige Felder aufzuteilen und sie mit Zeichen zu versehen.
Direkt vor ihr befand sich ein metallener Kasten. Ungefähr mannshoch überragte er sie um einen Kopf. Das Metall war kühl und glatt, dabei merkwürdig unbeschädigt. Kathy fuhr mit der Hand darüber. Sie blickte auf ein mattes Feld aus Glas, in dem sich ihr Gesicht spiegelte, und zuckte zusammen.
Das war nicht ihr Spiegelbild. Das war nicht sie. Nicht Kathy. Was ihr entgegenblickte, war ein Monster, ein mit Blut und Asche verschmiertes Gesicht. Augen, die tief in den Höhlen lagen und matt wie abgenutzte Murmeln glänzten. Sie zog die Lippen zurück und bleckte die Zähne.
Ich bin ein Tier geworden. Nicht mehr ich selbst.
Plötzlich stiegen Tränen in ihr auf. Etwas zerbrach in ihr und sie begann, heftig zu weinen. Es ließ sich nicht zurückhalten und Kathy schluchzte laut auf, ungeachtet der Gefahr, entdeckt zu werden.
Bilder aus einem fernen Leben tauchten auf. Ließen sie noch heftiger weinen. Kathy sah einen Mann. Groß und schlank. Braun gebrannt, mit wilden, von der Sonne ausgebleichten blonden Locken. Ein Dreitagebart und das Grinsen eines frechen Jungen im Gesicht. Es war das Gesicht ihres Vaters. Ein Surfergesicht. Die Sonne Australiens hatte unzählige Falten hineingeschrieben und neben den Augenwinkeln zersprang die Haut in Tausende kleine Risse.
Dad? Wo bist du?
In ihrem Geist hörte sie seine Stimme.
Darling, komm. Das Meer ist wunderbar und die Sonne
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