Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
aus seiner Jacke hervor und begann damit, zwischen seinen Zähne zu pulen. Mary ekelte es immer mehr vor ihm. Er sah zwar aus wie ihr Vater, gleichzeitig war er es aber nicht. Sie traute sich auch nicht zu fragen, wer oder was er wirklich war. Vielleicht würde ihn das nur noch wütender machen.
Sie wusste nur, dass sie hier wegmusste. Sofort.
»Du gehörst mir. Das weißt du doch.«
Mary beschloss, dass es ihr egal sein konnte, wie wütend ihr Gegenüber wurde. Wenn das hier ihre letzten Momente waren und sie draufgehen würde, dann würde sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen.
»Ich werde gegen dich kämpfen, was oder wer auch immer du bist. Bis zum letzten Atemzug. Nichts werde ich dir freiwillig geben…« Sie lachte gehässig auf. »Irgendwann kommt die Gelegenheit und dann werde ich dich töten.«
Mary hatte erwartet, dass er wütend aufspringen und sie schlagen würde, aber er blieb sitzen. Er war die Ruhe selbst. Lediglich seine Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen. »Ich hatte gehofft, dass ich nicht zu solchen Mitteln greifen muss, aber mir bleibt nichts anderes übrig. Ab heute wirst du den Rest deines Lebens wohl in Fesseln verbringen müssen. Angebunden wie ein Tier. Ich werde mir nehmen, was mir gehört, und wenn ich mit dir fertig bin, werde ich dich an meine Männer weitergeben. Du wirst diesen Ort niemals mehr verlassen, vergiss jeden Gedanken an Flucht oder Widerstand. Mach es dir und mir nicht schwerer, als es nötig ist.«
Er stand auf, sah auf sie herab. »Und jetzt ruh dich lieber aus. Bald werden die anderen zurückkehren, dann wird es ein großes Fest geben. Danach werde ich zu dir kommen. Besser du empfängst mich mit einem Lächeln.«
Ohne ein weiteres Wort ging er davon. Mary ließ den Kopf auf die angezogenen Knie sinken und wurde von bitterlichem Weinen geschüttelt.
Sie hatten es geschafft, das Kaufhaus unbemerkt zu verlassen. Jeb, Jenna und Mischa rannten auf leisen Sohlen durch die hereinbrechende Dämmerung, betraten Häuser und verließen sie auf der Rückseite wieder. Sie durchquerten Einkaufszentren und Bürogebäude, versuchten, ihre Spuren zu verwischen. Es schien ihnen tatsächlich gelungen zu sein, ihre Verfolger abzuschütteln, denn weder sahen noch hörten sie etwas von ihnen. Jeb war aufgefallen, dass die Jäger in dieser Welt keine Laute von sich gaben, ganz anders als in der Steppe. Die seltsam vertrauten und doch unmenschlichen Schreie und Rufe lagen ihm noch zu gut im Ohr. Das waren Stimmen aus seiner Vergangenheit gewesen, so viel ahnte er mittlerweile. Stimmen, die ihm unangenehm waren.
Und hier und jetzt? Plötzlich hatten sie es mit weitaus körperlicheren Gegnern zu tun. Zumindest schien es Jeb so. Fürchtet euch vor euren Ängsten. Wurden ihre Ängste etwa größer, gewannen sie an Macht? Jeb glaubte noch immer, dass sie in dieser Stadt ihrem früheren Leben auf die Spur kamen. So viele Dinge hatten er und die anderen hier wiedererkannt! Aber hieß das auch, dass die schrecklichen Ängste und Albträume aus ihren Leben an Nähe und Einfluss gewannen? Jeb wusste, es war müßig, noch weiter über all das nachzudenken. Es war unmöglich, sich gegen das Ungewisse zu wappnen. Er zwang sich, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihnen lag: ihr Überleben sichern und die Tore finden. Vielleicht würde ja doch noch alles gut.
Noch immer schneite es. Ihnen war inzwischen kalt und heiß zugleich. Die Finger fast erfroren, aber ihre Gesichter glühten vor Anstrengung, während ihnen der Schweiß den Rücken hinabrann. Sobald sie innehielten, schien sich dieser Schweiß in pures Eis zu verwandeln. Wie die beiden anderen zitterte Jeb am ganzen Leib. Die Kälte ließ es nicht zu, dass sie auch nur einen Moment länger im Freien innehielten als nötig.
Jeb blickte nach rechts und links, bevor er die Nebenstraße überquerte. Neben ihm humpelte Jenna durch den tiefen Schnee. Wortlos streckte er seine Hand nach ihr aus und zog sie hinter sich her. Er wusste, dass sie Schmerzen hatte, ebenso wie Mischa, der immer wieder eine Hand in seine Seite presste. Er atmete keuchend. Jeb spürte, dass die beiden am Ende ihrer Kräfte waren. Für einen Moment überlegte er, ob sie es riskieren konnten, jetzt auszuruhen, aber er wusste, dass sie letztendlich keine Wahl hatten. Zum Glück schälte sich nach einiger Zeit ein niedriges Haus aus der nebelverhangenen Dunkelheit. Jeb gab den anderen ein Zeichen, dann stieg er durch ein zerbrochenes Fenster in das
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