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Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Titel: Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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entgegengesetzte Richtung lief.
    Was hat sie vor? Hat sie Marys Entführer entdeckt?
    Nein, das konnte nicht sein. León schüttelte unwillkürlich den Kopf. Kathy war ihm ein Rätsel. Er verstand sie nicht. Vor allem aber war sie unberechenbar. Er würde sich von ihr nicht aufhalten lassen. Sollte sie ruhig versuchen, sich ihm in den Weg zu stellen.
    Madre dios.
    Er betete regelrecht darum, dass sie es versuchte.

45.
    Die beiden Männer blieben stehen, sagten etwas, dann schüttelten sie Mary unsanft aus dem Sack. Hart landete sie auf dem Boden.
    Erleichtert schnappte sie nach Luft, aber der Gestank überwältigte sie. Im Raum waberte der schwere Geruch von ungewaschenen Körpern und Verfaultem. Flach atmend hob sie den Kopf und ihr Atem stockte. Ihr Blick wanderte über schmutzige, abgetragene Stiefel nach oben. Das Gesicht, das eben noch eine schwarze Maske gewesen war, wurde zu einem bärtigen Gesicht. Dunkle Augen stachen daraus hervor, blickten auf sie herunter. Sofort erkannte Mary ihn wieder. Der Mann mit dem Hund, in der Seitenstraße. Aus ihrer Angst wurde Panik. Sie begann, unkontrolliert zu zittern. Bilder tauchten in ihrem Geist auf.
    Und die Erinnerung überrollte sie.
    Es gab einmal eine Familie. Vater, Mutter, die kleine Mary und ihr kleiner Bruder. David.
    Mary lag in ihrem Bett, nur die Nachttischlampe brannte und warf Schmetterlinge an die Wand, als er ins Zimmer kam und sich neben sie legte. Meine Kleine, du bist doch meine Kleine? Dann hat er sie berührt. Aber es war nicht Mary. Mary war ganz weit weg. Sie machte sich ganz steif, aber er zwängte seine Hand zwischen ihre Beine und sagte leise: Alles ist gut. Aber Mary wusste, das war es nicht. Sie weinte, und das nicht nur ein einziges Mal, sondern viele Nächte.
    Nach vielen Nächten – zu vielen Nächten – kam Marys Vater nicht mehr zu ihr. Aber sie hörte, dass er in das Zimmer ihres Bruders ging. Sie hörte ihren Vater mit David flüstern und sie hörte, wie ihr geliebter kleiner Bruder wimmerte.
    Aber Mary sagte nichts, sie war froh, dass es vorbei war. Dass sie nun vergessen durfte. Also schwieg sie und sagte zu niemandem ein Wort.
    Und doch war er jetzt hier. Ihr Vater. Aus dem hageren, ausgemergelten Gesicht wurde sein Gesicht, das auf sie hinabblickte. Wie damals lächelte er nicht, verzog keine Miene, stand einfach nur da und glotzte sie an. Sein Blick hatte etwas Gieriges und Mary war wieder das kleine Mädchen wie in ihrer Erinnerung. Wie damals. Dann öffnete er den Mund und eine ganze Reihe fehlender Zähne wurde sichtbar.
    »Steh auf«, befahl er kalt.
    Als sie nicht sofort gehorchte, wiederholte er seinen Befehl. Und das in einem Tonfall, der Mary nur noch mehr Angst machte. Dieses Mal, so wurde ihr schlagartig klar, konnte sie sich nicht einfach unsichtbar machen. Nicht einfach wegdenken. Schnell rappelte sie sich auf.
    Da erst erwachte sie aus ihrem Albtraum. Wo war sie hier? Nach dem langen Aufenthalt im Sack, in gekrümmter Haltung, merkte sie nun, dass ihre Muskeln verkrampft waren. Ihre Knie gaben nach und sie sackte zusammen. Einer ihrer Entführer packte sie an den Haaren und zog sie wieder auf die Beine. Mary schrie auf.
    »Sei still«, sagte der Mann mit dem Gesicht ihres Vaters. Er fragte: »Hast du Essen?«
    Die Frage überraschte Mary. Es dauerte einen Augenblick, bis sie den Sinn dieser Frage kapierte. Und sie hatte die kurze Hoffnung, dass dies nur ein Traum war, doch dieses Gefühl zerstob im Nichts, als sie in die kalten Augen des Mannes blickte.
    »Ja.« Mary versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und deutete auf den Rucksack, den die Männer neben ihr auf den Boden abgestellt hatten. »Aber es ist nicht viel.«
    Obwohl er danach gefragt hatte, schien der Inhalt ihn nicht zu interessieren. Er nickte seinen Männern zu, die sich sofort darüber hermachten und in einer Ecke verschwanden.
    Mary versuchte unauffällig, sich einen Eindruck von dem Ort zu verschaffen, an den man sie verschleppt hatte. Sie musste sich unter der Erde befinden, denn es gab kein Fenster. Nur nackten Beton, von dem die Feuchtigkeit in kleinen Rinnsalen zu Boden sickerte. Der Raum war groß und nüchtern, durch Pappkarton und Bretter in viele kleine offene Abteile aufgeteilt, in denen dunkle Gestalten auf alten Matratzen hausten. Aber es waren nur wenige da. Mary sah Augen im Halbdunkel aufblitzen. Augen, die sie im Schein der an den Wänden angebrachten Fackeln neugierig musterten. Sie senkte den Blick. Auf dem Boden

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