Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
verfolgte sie und dieses Gefühl kannte León besser als alles andere.
»Wir müssen schneller gehen«, feuerte er die anderen an.
»Jenna kann kaum noch laufen«, meinte Jeb, der das Mädchen die ganze Zeit gestützt hatte.
»Geht schon«, versuchte Jenna abzuwiegeln.
»Nein, geht es nicht.« Jeb blieb unnachgiebig. Auch León erkannte, dass Jenna Schmerzen hatte, es aber nicht zugeben wollte.
Aber Jenna ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen. León musste anerkennen, dass Jenna trotz ihrer Verletzung eine unglaubliche Stärke besaß, die er bewunderte. »Hier gibt es genügend Gebäude als Unterschlupf. Dort ruhe ich mich aus. Um Mitternacht wird der Stern am Himmel aufleuchten. Vorher wissen wir sowieso nicht, in welche Richtung wir müssen, also kann ich genauso gut hier abwarten und meine Kräfte schonen.«
León wusste, dass Jenna recht hatte, auch Jeb musste das einsehen. Seine Sorge war ihm ins Gesicht geschrieben. Eine Sorge, die über das übliche Maß an Kameradschaft hinausging. Kameradschaft? Ja, zwischen ihnen allen hatte sich tatsächlich so etwas wie Zusammenhalt entwickelt. Solange sie voneinander einen Nutzen hatten, konnten sie sich aufeinander verlassen.
León sah die Blicke, die Jenna und Jeb sich zuwarfen, und vermutete, dass im Wald zwischen den beiden etwas geschehen war. Zwischen ihnen lag eine seltsame Vertrautheit, die mehr war als nur Kameradschaft, weit mehr als Freundschaft.
Aber wie konnte das möglich sein? Es gab eine Macht, die ein grausames Spiel mit ihnen spielte. Die sie alle tot sehen wollte, nachdem sie verzweifelt um ihr Leben gekämpft hatten. León glaubte nicht mehr daran, dass einer von ihnen überleben würde. Wer auch immer übrig blieb, wäre bloß Zeuge dieses Verbrechens. Nein, sie alle sollten sterben und jemand sah ihnen dabei zu.
Hier ist kein Platz für so etwas!
Trotzdem bemerkte er all die kleinen, zufälligen Berührungen, die Jenna und Jeb unbewusst austauschten, verfolgte die sehnsuchtsvollen Blicke, mit denen sie sich heimlich beobachteten, wenn der andere gerade nicht hinsah.
Er lachte stumm auf. Was war eigentlich mit ihm los? Warum interessierte es ihn überhaupt, was zwischen Jeb und Jenna lief? Sie sollten ihm scheißegal sein, ebenso wie Mary, Mischa und Kathy.
»Also, dann brechen wir auf«, sagte er.
Jeb fasste ihn an der Schulter. »Wir haben keine Waffen.«
León sah ihn spöttisch an. »Erzähl mir was Neues. Und sei mal ein bisschen kreativ. Hier liegt schließlich jede Menge Schrott rum, den wir benutzen können, um uns zu verteidigen. Nicht mehr lange und es ist ohnehin stockfinster, dann sehen wir Marys Fußspuren nicht mehr. Ich möchte nicht herausfinden, was in den Schatten noch auf uns lauert.« Er schüttelte unwillig Jebs Hand ab. »Kommt jetzt, wir haben schon genug Zeit verloren.«
35.
Mary stolperte beinahe über eine Schneewehe, als sie sich hastig umschaute. Sie wusste: Dem Mann konnte sie vielleicht entkommen, aber der Hund würde sie aufspüren. Der hungrige Köter würde ihrer Spur überallhin folgen, egal wohin sie lief.
Der Wind strich ihr über das Gesicht. Wer war hinter ihr her? Und warum?
Mary war automatisch davon ausgegangen, dass sie von einem Mann verfolgt wurde. Die Größe des Hundes, aber vor allem die grausamen Misshandlungen sagten ihr, dass das Tier einem gewalttätigen Mann gehorchte. Kurz dachte sie an Kathy, die kaltblütig Tian ermordet hatte.
Irgendwie war ihr klar, dass ein Mensch, der nichts Böses im Schilde führte, keinen Grund hatte, ihr zu folgen. Sie hatte in den letzten Tagen gelernt, dass das Leben ein Kampf war. Obwohl sie sich kaum an ihre Vergangenheit erinnerte, wusste sie doch, dass das eine neue Erfahrung für sie war. Sie hatte sich noch nie um etwas bemühen müssen. Und jetzt lief sie um ihr Leben.
Wer bin ich? Diese Frage hallte noch immer unbeantwortet durch ihren Kopf. Da waren die Bilder von diesem übergroßen und furchterregenden Schatten, der sich hinter einem schmalen Licht aufbaute. Sie wusste, dass sie seitdem die Nächte fürchtete, aber warum? Und ansonsten war da… nichts.
Sie dachte an ihre Hände. Weich und zart waren sie gewesen, so als hätte sie nie etwas mit ihnen gearbeitet, nun aber zeichneten sich Risse und Verbrennungen auf den Handflächen ab und die Fingernägel waren stellenweise abgebrochen. Ihr Körper hatte Dinge vollbracht, die früher für sie unvorstellbar gewesen waren. Sie war nicht schwach, obwohl sie wusste, dass sie das stets von
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