Das Laecheln der Sterne
tun.«
Robert nahm einen Zug von seiner Zigarette. Während er den Rauch ausstieß, hörte Paul ein leichtes Pfeifen, als würde Luft aus einem alten Akkordeon entweichen.
»Wissen Sie, dass sie den Tumor schon hatte, als wir uns kennen lernten?«
»Nein«, sagte Paul, »dass wusste ich nicht.«
Robert zog abermals an seiner Zigarette. Als er weitersprach, war seine Stimme ruhiger, besänftigt durch die Erinnerungen.
»Damals war er natürlich noch nicht so groß. Eher wie eine halbe Walnuss, und die Farbe war auch nicht so auffällig. Aber man konnte ihn sehen, ganz deutlich, als wäre etwas unter die Haut geschoben worden. Und es hat ihr immer etwas ausgemacht, auch als sie noch klein war. Wenn sie zur Schule ging, hat sie immer auf ihre Schuhe geguckt – warum, war nicht schwer zu erraten.«
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Robert schwieg und ordnete seine Gedanken, und Paul war weise genug, nicht zu sprechen.
»Sie hat die Schule nicht zu Ende gemacht – das ging damals vielen so –, weil sie arbeiten musste, um ihre Familie zu unterstützen. Dabei habe ich sie erst richtig kennen gelernt. Sie arbeitete an dem Pier, wo wir unser Fanggut ausluden, sie bediente da die Waage. Ich habe mindestens ein Jahr lang versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, bevor es mir gelang, aber ich mochte sie trotzdem. Sie war ehrlich, und sie war eine gute Arbeiterin. Ihr Gesicht hatte sie hinter ihren Haaren versteckt, aber manchmal habe ich trotzdem einen Blick auf das erhaschen können, was sich darunter befand, und das waren die hübschesten Augen, die ich je gesehen hatte. Sie waren dunkelbraun und ganz sanft, wissen Sie. Als könnte sie niemandem etwas zuleide tun. Ich habe immer wieder versucht, sie anzusprechen, aber sie hat mich gar nicht beachtet, doch irgendwann ist ihr wahrscheinlich klar geworden, dass ich nicht aufgeben würde. Also ist sie mit mir ausgegangen, aber sie hat mich den ganzen Abend kaum angesehen. Sie hat immer nur auf ihre Schuhe geguckt.«
Robert legte die Hände zusammen.
»Aber ich habe sie trotzdem wieder gefragt, ob sie mit mir ausgehen will. Beim zweiten Mal war es schon besser. Ich habe gemerkt, dass sie lustig sein konnte, wenn sie wollte. Je besser ich sie kennen lernte, desto mehr gefiel sie mir, und nach einer Weile hatte ich mich tatsächlich in sie verliebt. Mir machte das Ding in ihrem Gesicht nichts aus. Es hat mir damals nichts ausgemacht und letztes Jahr auch nicht. Aber ihr hat es etwas ausgemacht. Die ganze Zeit.«
Er schwieg eine Weile. Dann fuhr er fort:
»In den zwanzig Jahren danach haben wir sieben Kinder bekommen, und es schien, dass das Ding immer größer wurde, wenn sie eins der Babys stillte. Ich weiß nicht, ob das stimmte, aber sie fand das auch. Aber all meine Kinder, auch John, den 134
Sie ja gesehen haben, sagen, dass sie eine wunderbare Mutter war. Und das stimmt. Sie war streng, falls nötig, und ansonsten war sie der liebste Mensch auf der Welt. Dafür habe ich sie geliebt, und wir waren glücklich. Das Leben hier ist oft nicht leicht, aber sie hat es mir leicht gemacht. Ich war stolz auf sie und stolz, mit ihr gesehen zu werden, und ich habe dafür gesorgt, dass alle um uns herum das wussten. Ich hatte gedacht, das würde ausreichen, aber offenbar war es wohl nicht genug.«
Paul blieb reglos sitzen, während Robert weitersprach.
»Dann, eines Abends, hat sie eine Fernsehshow gesehen über eine Frau mit so einem Tumor, und sie haben Bilder von vorher und nachher gezeigt. Ich glaube, da hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie das Ding ein für alle Mal loswerden möchte.
Und dann hat sie davon angefangen, dass sie sich operieren lassen will. Es war eine teure Operation, und versichert waren wir nicht, aber sie hat immer wieder gefragt, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe.«
Robert sah Paul an.
»Ich konnte sie nicht davon abbringen. Ich habe ihr gesagt, dass es mir nichts ausmacht, aber sie hat davon nichts hören wollen. Manchmal habe ich beobachtet, wie sie im Badezimmer ihr Gesicht betastet hat, und manchmal hat sie geweint, und ich wusste, dass sie sich die Operation mehr als alles andere wünschte. Sie hatte ihr ganzes Leben lang mit diesem Ding gelebt, und nun war sie es leid. Sie war es leid, dass Fremde von ihr wegsahen oder dass Kinder sie anstarrten.
Also habe ich mich überreden lassen. Ich habe unser Erspartes genommen und bei der Bank eine Hypothek auf mein Boot aufgenommen, und dann sind wir zu Ihnen gekommen. An dem Morgen war sie ganz aufgeregt. Ich
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