Das Laecheln der Sterne
setzte sich sein Vater ins Wohnzimmer und las Farmberichte, und Paul vertiefte sich in ein Buch. Sie hatten keinen Fernseher, und das Radio wurde meist nur angestellt, wenn sie den Wetterbericht hören wollten.
Sie waren arm. Zwar hatte Paul immer genug zu essen und ein warmes Zimmer, doch es war ihm manchmal peinlich, dass er verschlissene Kleidung trug und nicht das Geld hatte, in den Drugstore zu gehen, um ein Stück Kuchen oder eine Flasche Cola zu kaufen, wie es seine Freunde taten. Hin und wieder bekam Paul spöttische Bemerkungen zu hören, doch statt sich 26
zu verteidigen vertiefte er sich in seine Schularbeiten, als wollte er beweisen, dass es ihm nichts ausmachte. Jahrein, jahraus brachte er die besten Noten nach Hause. Sein Vater war zwar stolz auf seine Leistungen, aber immer, wenn er Pauls Zeugnisse las, wurde er leicht melancholisch, als wüsste er, dass sein Sohn eines Tages die Farm verlassen und nie mehr zurückkommen würde.
Die Disziplin, die Paul bei der Feldarbeit erworben hatte, übertrug er auch auf andere Lebensbereiche. Er schloss nicht nur die Schule als Bester ab, er wurde auch ein ausgezeichneter Sportler. Als er an der Universität nicht ins Football-Team aufgenommen wurde, empfahl ihm der Trainer, es mit Geländelauf zu versuchen. Paul erkannte schnell, dass es nichts mit genetischer Veranlagung zu tun hatte, ob man aus Wettbewerben als Sieger oder als Verlierer hervorging, sondern mit dem Einsatz. So gewöhnte er sich an, morgens um fünf Uhr aufzustehen, damit er zwei Trainingsstunden in den Tag einbauen konnte. Sein Plan ging auf: Aufgrund seiner sportlichen Leistungen bekam er ein volles Stipendium für die Duke University und war vier Jahre lang der beste Läufer und zugleich ein erfolgreicher Student. Paul studierte Chemie und Biologie und schloss das Studium summa cum laude ab. In dem Jahr wurde er zudem als All-American ausgezeichnet, weil er im nationalen Geländelaufwettkampf als Dritter ins Ziel kam.
Nach dem Lauf übergab er seinem Vater die Medaille. Er sagte, dass er all dies nur für ihn getan habe.
»Nein«, widersprach sein Vater, »du bist für dich selbst gelaufen. Ich hoffe nur, du läufst auf etwas zu und nicht vor etwas weg.«
An jenem Abend lag Paul im Bett, starrte lange an die Decke und versuchte zu begreifen, was sein Vater gemeint haben könnte. Seiner Meinung nach lief er auf etwas zu – auf alles, was vor ihm lag. Auf ein besseres Leben. Auf ein Leben ohne 27
Sorgen. Auf das Glück.
Als er im Februar seines letzten Studienjahrs erfuhr, dass er an der medizinischen Fakultät von Vanderbüt angenommen worden sei, besuchte er seinen Vater und überbrachte ihm die gute Nachricht. Sein Vater schien sich zu freuen. Aber später, zu einer Stunde, zu der sein Vater normalerweise längst schlief, sah Paul vom Fenster aus, wie er beim Zaunpfosten stand und über die Felder blickte. Eine einsame Gestalt.
Drei Wochen darauf starb sein Vater, während er die Felder für den Frühling pflügte, an einem Herzinfarkt.
Paul war völlig zerstört. Doch statt seiner Trauer Zeit und Raum zu geben, stürzte er sich noch tiefer in die Arbeit und vermied es, sich seinen Erinnerungen hinzugeben. Er schrieb sich vor Semesterbeginn an der Universität ein, nahm an einem Sommerkurs teil, um sich einen Vorsprung zu verschaffen, und im Herbst lud er sich zu seinem vollen Stundenplan zusätzliche Kurse auf. Von da an raste sein Leben nur so dahin. Er besuchte die Kurse, arbeitete im Labor und lernte bis in die frühen Morgenstunden. Jeden Tag lief er fünf Meilen, er stoppte immer die Zeit und versuchte sich jedes Jahr zu steigern. Er ging nie in Nachtclubs oder Bars, und er war auch nie dabei, wenn die Mitglieder des Sportteams zusammen ausgingen. Aus einer Laune heraus kaufte er sich einen Fernsehapparat, packte ihn aber nicht einmal aus und verkaufte ihn ein Jahr später wieder. Mädchen gegenüber war er schüchtern, aber jemand machte ihn mit Martha bekannt, einer freundlichen blonden jungen Frau aus Georgia, die in der Bibliothek der medizinischen Fakultät arbeitete. Und weil er sich nicht dazu durchringen konnte, sich mit ihr zu verabreden, machte sie den ersten Schritt. Angesichts des enormen Pensums, das Paul sich abverlangte, war sie zwar beunruhigt, nahm aber dennoch seinen Heiratsantrag an. Nach zehn Monaten traten sie zusammen vor den Altar. Da Pauls Prüfungen bevorstanden, blieb keine Zeit für die Flitterwochen, 28
aber er versprach seiner Frau, eine schöne
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