Das Lächeln der Sterne
versuche es. Meine Kinder sind allerdings nicht immer dieser Meinung.«
»Sehen Sie es einmal so – wenn Ihre Kinder einmal Kinder haben, können Sie sich rächen.«
»Das habe ich auch vor. Ich übe schon. Möchtest du vorm Essen noch ein paar Chips? Natürlich brauchst du dein Zimmer nicht aufzuräumen! Und du darfst selbstverständlich so lange aufbleiben, wie du willst…«
Paul lächelte wieder und stellte insgeheim fest, wie sehr ihm die Unterhaltung gefiel. Wie sehr Adrienne ihm gefiel. Im silbrigen Licht des nahenden Sturms sah sie schön aus, und er fragte sich, wie ihr Mann nur so dumm gewesen sein konnte, sie zu verlassen.
Langsam näherten sie sich der Pension, beide in Gedanken versunken. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit auf all das, was sie um sich herum hörten und sahen, und hatten kein Verlangen zu sprechen.
In diesem Schweigen liegt etwas Tröstliches, dachte Adrienne. Die meisten Menschen glaubten, dass Stille eine unangenehme Leere sei, die gefüllt werden musste, auch wenn niemand etwas Bedeutendes zu sagen hatte. Das hatte sie oft genug in den endlosen Runden von Cocktailpartys erlebt, zu denen sie früher mit Jack gegangen war. Am besten gefiel es ihr dann, wenn sie sich unbemerkt davonstehlen und ein paar Augenblicke allein auf einer stillen Veranda verbringen konnte. Manchmal stand schon jemand anderes dort draußen, jemand, den sie nicht kannte, und wenn sie sich gegenseitig bemerkten, nickten sie sich zu, als schlössen sie einen geheimen Pakt. Keine Fragen, keine Konversation… einverstanden.
Hier am Strand stellte sich dieses Gefühl wieder ein. Die Nachtluft war erfrischend, der Wind spielte mit ihrem Haar und strich ihr über die Haut. Vor ihr breiteten sich Schatten aus, bewegten sich und bildeten beinah erkennbare Formen, bevor sie wieder verschwanden. Das Meer war ein einziger schäumender Strudel. Auch Paul, das spürte sie, nahm all diese Dinge wahr. Auch er schien zu merken, dass Worte all dies irgendwie zerstören würden.
Sie gingen in einvernehmlichem Schweigen nebeneinander her, und Adrienne wurde sich mit jedem Schritt sicherer, dass sie mehr Zeit mit ihm verbringen wollte. So seltsam war das gar nicht, oder? Er war einsam und sie auch, zwei Reisende, die allein unterwegs waren und sich an einem verlassenen Strand in einer Ortschaft am Meer getroffen hatten.
Als sie kurz darauf beim Haus ankamen, gingen sie in die Küche und zogen sich die Jacken aus. Adrienne hängte ihre an die Kleiderhaken neben der Tür und den Schal darüber. Paul hängte seine Jacke neben ihre.
Adrienne hob die Hände zum Mund und hauchte hinein. Dann sah sie, dass Paul auf die Uhr blickte und anschließend den Blick in der Küche umherschweifen ließ, als ob er überlegte, den Abend zu beenden.
»Wie wär’s mit etwas Warmem?«, fragte sie schnell. »Ich könnte uns eine Kanne koffeinfreien Kaffee kochen.«
»Gibt es auch Tee?«, fragte er.
»Ich glaube, ich habe vorhin welchen gesehen. Ich schaue mal nach.«
Sie öffnete den Schrank neben dem Spülbecken und schob ein paar Sachen darin zur Seite. Ihr gefiel die Vorstellung, dass sie noch ein wenig Zeit zusammen verbringen würden. Im zweiten Fach fand Adrienne eine Schachtel Earl Grey, und als sie sich umdrehte und sie Paul zeigte, nickte er lächelnd. Sie nahm den Kessel, füllte ihn mit Wasser und war sich Pauls Nähe überdeutlich bewusst. Als der Kessel pfiff, goss Adrienne Wasser in zwei Becher. Anschließend gingen sie zusammen ins Wohnzimmer.
Sie setzten sich wieder in die Schaukelstühle, doch das Zimmer wirkte ohne das Tageslicht völlig anders. In der Dunkelheit schien es noch stiller, irgendwie intimer.
Sie tranken ihren Tee und sprachen eine Stunde lang über dies und das – die angenehme Unterhaltung zweier Menschen, die sich nur flüchtig kennen. Doch nach einer Weile, als es schon spät geworden war, begann Adrienne plötzlich, Paul von den Sorgen um ihren Vater und von ihren Ängsten vor der Zukunft zu erzählen.
Paul hatte ähnliche Geschichten schon oft gehört. Als Arzt erfuhr er regelmäßig von solchen Problemen, aber bis zu diesem Moment waren sie nicht mehr gewesen als das – Geschichten eben. Pauls Eltern waren tot, und Marthas Eltern lebten in Florida und erfreuten sich bester Gesundheit. Adriennes bekümmerter Gesichtsausdruck machte Paul plötzlich klar, wie froh er sein konnte, dass er von solchen Schwierigkeiten, wie sie sie hatte, verschont geblieben war.
»Ich würde Ihnen gern helfen«, bot er an.
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