Das Lächeln der Sterne
denken?«
»Habe ich es richtig verstanden, dass wir nun das Thema wechseln?«
»Ich finde, dass Sie jetzt an der Reihe sind, etwas zu erzählen.«
»Sie finden, Sie sind mir das Zuhören schuldig?«
Adrienne zuckte mit den Schultern. »So ungefähr. Ich habe mich Ihnen offenbart, jetzt sind Sie dran.«
Paul seufzte gespielt und verdrehte die Augen zur Decke.
»Also gut – was vermisse ich?« Er legte die Hände zusammen.
»Ich glaube, ich vermisse die Gewissheit, dass jemand da ist, wenn ich nach Hause komme. Normalerweise kam ich spät heim, und manchmal war Martha schon im Bett. Aber zu wissen, dass sie da war, war natürlich und beruhigend – so sollte es sein. Wie ist es bei Ihnen?«
Adrienne stellte ihren Becher auf den Tisch zwischen ihnen.
»Das Übliche: Ich vermisse, dass niemand da ist, mit dem ich sprechen kann, mit dem ich am Tisch sitze, die flüchtigen Küsse vor dem morgendlichen Zähneputzen. Aber um ehrlich zu sein, im Moment bin ich mehr besorgt darüber, dass die Kinder etwas vermissen. Ihretwegen vermisse ich Jack am meisten. Ich glaube, kleine Kinder brauchen ihre Mutter mehr als den Vater, aber Teenager brauchen speziell ihren Vater. Besonders die Mädchen. Ich möchte nicht, dass meine Tochter denkt, alle Männer sind Schufte und verlassen ihre Familien. Aber wie soll ich ihr das Gegenteil vermitteln, wenn ihr eigener Vater das getan hat?«
»Das weiß ich nicht.«
Adrienne schüttelte den Kopf. »Denken Männer eigentlich auch über solche Fragen nach?«
»Verantwortungsbewusste Männer schon. Es ist bei dieser Frage wie bei allen anderen auch.«
»Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Dreißig Jahre. Und Sie?«
»Achtzehn.«
»Man könnte denken, im Laufe dieser vielen Jahre hätten wir es gelernt.«
»Was? Wie man es macht, für immer zusammenzubleiben…
und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute? Ich glaube nicht, dass es das gibt.«
»Nein, vermutlich haben Sie Recht.«
Vom Flur drangen die Schläge der Standuhr zu ihnen herein. Als die Uhr verstummte, rieb sich Paul den Nacken und reckte sich dann. »Ich glaube, ich ziehe mich jetzt zurück. Morgen geht der Tag früh los.«
»Ich weiß«, stimmte sie ihm zu, »ich wollte gerade das Gleiche sagen.«
Aber sie standen nicht sofort auf, sondern blieben noch ein paar Minuten sitzen, umgeben von dem gleichen Schweigen, das sie auch am Strand verbunden hatte. Gelegentlich sah Paul zu Adrienne hinüber, wandte aber den Blick ab, bevor sie ihn auffing.
Mit einem Seufzen stand sie schließlich von ihrem Stuhl auf und zeigte auf seinen Becher. »Ich nehme ihn mit in die Küche. Ich muss sowieso noch einmal dorthin.«
Paul lächelte, während er ihr den Becher reichte. »Ich habe den Abend sehr genossen.«
»Ich auch.«
Als er einen Moment später nach oben ging, sah Adrienne ihm nach. Dann wendete sie sich ab und machte sich daran, alle Türen abzuschließen.
In ihrem Zimmer zog sie sich aus, öffnete den Koffer und holte den Schlafanzug heraus. Plötzlich sah sie sich im Spiegel. Nicht übel – aber letzten Endes entsprach ihr Aussehen doch ihrem Alter. Paul war sehr freundlich gewesen, als er sagte, sie brauche keine Schönheitsoperation, fand sie.
Es war lange her, seit jemand ihr das Gefühl gegeben hatte, attraktiv zu sein.
Sie zog sich den Schlafanzug an und legte sich ins Bett. Auf Jeans Nachttisch lag ein Stapel Zeitschriften, und Adrienne blätterte einige davon durch, bevor sie das Licht ausmachte. In der Dunkelheit ließ sie den Abend, der eben zu Ende gegangen war, noch einmal Revue passieren. In ihrem Kopf wiederholte sie das Gespräch mit Paul immer wieder, und sie sah sogar vor ihrem inneren Auge, wie sich seine Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln verzogen, wenn sie etwas sagte, das ihn amüsierte. Eine gute Stunde lang wälzte sie sich hin und her und konnte nicht einschlafen. Sie wurde immer rastloser und ahnte nicht im Mindesten, dass Paul Flanner in dem Zimmer im ersten Stock genauso schlaflos im Bett lag.
NEUN
Obwohl Paul die Fensterläden geschlossen und die Vorhänge zugezogen hatte, wachte er am Freitagmorgen mit dem ersten Morgenlicht auf und musste seinen vom langen Autofahren steif gewordenen Körper erst einmal zehn Minuten lang strecken.
Dann stieß er die Fensterläden auf und ließ den Morgen herein. Über dem Wasser schwebte ein dichter Dunst, und der Himmel war von einem metallenen Grau. Kumuluswolken rasten über ihn hinweg, die Länge des gesamten Strandes
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