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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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Einbalsamierer. Ein Leibwächter? Ein Verwandter
des toten Mädchens? Einen Augenblick später - so rasch,
daß man nicht die Bewegung an sich, sondern nur die
Verschiebung der Szenerie wahrnehmen konnte - tauchten Gestalt und
Stahl auf unserer Seite der Karre auf. Man hörte ein
seltsames, schlitzendes Geräusch, winzig, aber irgendwie
endgültig. Der Gladiator krümmte sich, die Hände vor
dem Bauch, vornüber. Er grunzte und stöhnte, aber das
Geräusch ging in einem lauten kollektiven Kreischen
unter.
    Ich hatte das
eigentliche Verbrechen oder den Täter gar nicht gesehen; ich
war zu sehr damit beschäftigt, mir einen Weg durch die Menge
zu bahnen, die beim ersten Blutstropfen auf dem Pflaster
auseinandergestoben war wie Getreidekörner aus einem
aufgerissenen Sack. 
    »Los,
komm!« rief ich, Tiro hinter mir herziehend. Er starrte noch
immer über die Schulter, auf das tote Mädchen und hatte,
so glaubte ich, gar nicht gemerkt, was geschehen war. Aber als wir
in Sicherheit waren, dem Gedrängel und Durcheinander, das
weiter um den umgestürzten Karren tobte, glücklich
entronnen, zog er mich zur Seite und sagte leise: »Wir
sollten doch lieber umkehren, Herr. Wir waren schließlich
Zeugen!«
    »Zeugen von
was?«
    »Zeugen eines
Mordes!«
    »Ich hab nichts
gesehen. Und du auch nicht. Du hast die ganze Zeit dieses tote
Mädchen angestarrt.«
    »Nein, ich habe
alles gesehen.« Er schluckte schwer. »Ich habe einen
Mord gesehen.«
    »Das weißt
du doch gar nicht. Vielleicht erholt sich der Gladiator ja wieder.
Außerdem war er wahrscheinlich sowieso nur ein Sklave.«
Der Ausdruck von Schmerz, der in Tiros Augen aufflammte, ließ
mich innerlich zusammenzucken.
    »Wir sollten
trotzdem zurückgehen«, sagte Tiro nicht ohne
Schärfe. »Die Messerstecherei war erst der Anfang. Es
ist noch immer im Gange, siehst du? Inzwischen ist der halbe
Marktplatz darin verwickelt.« Er zog die Brauen hoch, als sei
ihm eine Idee gekommen. »Prozesse! Vielleicht braucht einer
der Beteiligten einen guten Anwalt.«
    Ich starrte ihn
erstaunt an. »Meister Cicero kann sich wahrlich
glücklich schätzen. Wie praktisch du doch bist, Tiro. Vor
deinen Augen findet eine brutale Messerstecherei statt, und was
siehst du? Geschäftliche Perspektiven.«
    Tiro war durch mein
Lachen gekränkt. »Aber einige Anwälte machen so
eine Menge Geld. Cicero sagt, daß sich Hortensius nicht
weniger als drei Sklaven hält, deren einzige Aufgabe es ist,
durch die Straßen zu schlendern und die Augen nach
potentiellen Fällen offen zu
halten.«      
    Ich lachte erneut.
»Ich wage zu bezweifeln, daß dein Cicero Lust
hätte, den Gladiator oder dessen Besitzer zu vertreten. Oder,
was wesentlicher ist, daß sie Lust hätten, mit deinem
Herrn oder sonst einem Advokaten zu verhandeln. Die betroffenen
Parteien werden sich auf übliche Weise um Gerechtigkeit
bemühen: Blut für Blut. Wenn sie sich nicht selbst um die
Sache kümmern - obwohl die Freunde des Ermordeten auf mich
keineswegs einen feigen oder zaghaften Eindruck gemacht haben -,
werden sie tun, was jeder tut: Sie heuern eine der Banden an. Die
Bande spürt den Täter oder seinen Bruder auf und erdolcht
im Gegenzug ihn, worauf die Familie des Opfers eine rivalisierende
Bande anheuert, um diese Gewalttat zur vergelten, und so weiter.
Das, Tiro, ist römische Justiz.«
    Ich brachte ein
Lächeln zustande, damit Tiro das Ganze als Witz betrachten
konnte. Statt dessen bewölkte sich sein Gesicht weiter.
»Römische Justiz«, sagte ich ernster,
»für diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten
können oder vielleicht noch nicht einmal wissen, was ein
Anwalt ist. Oder es wissen und ihnen nicht über den Weg
trauen, weil sie alle Gerichte für einen großen
Schwindel halten. Die beobachteten Ereignisse können
genausogut die Fortsetzung wie der Beginn einer blutigen Fehde
gewesen sein. Vielleicht hatte der Mann mit dem Messer gar nichts
mit den Einbalsamierern oder dem toten Mädchen zu tun.
Vielleicht hat er nur auf einen passenden Moment gewartet, seinen
Schlag zu führen, und wer weiß, wie weit zurück
dieser Streit schon reicht? Aus so etwas hält man sich am
besten raus. Außerdem gibt es niemanden, an den man sich
wenden könnte, um dem Ganzen Einhalt zu
gebieten.«
    Letzteres war
tatsächlich wahr und ein unablässiger Quell des
Erstaunens für Besucher aus fremden Hauptstädten oder
sonst jemanden, der mit dem Leben in einer Republik unvertraut war:
Rom hat keine Polizei. Es gibt keine bewaffnete

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