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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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zu
Asche verbrannt werden. Sonst, das verspreche ich euch, werte
Richter, wird die Rache von oben über unser aller Häupter
niedergehen wie Hagel von einem wütenden schwarzen
Himmel.«
    Erucius wies mit dem
Zeigefinger himmelwärts und verharrte sehr lange in dieser
Pose. Seine Brauen waren zusammengezogen, und er starrte die
Richter an wie ein wütender Stier. Er hatte von Jupiters
Vergeltung gesprochen, aber wir hatten alle vernommen, daß
Sulla selbst verärgert wäre, wenn das Urteil auf Nicht
schuldig lautete. Die Drohung hätte nicht deutlicher sein
können.
    Erucius raffte die
Falten seiner Toga, warf den Kopf zurück und drehte sich um.
Die Menge applaudierte und jubelte nicht, als er von der Rostra
hinabstieg. Statt dessen herrschte ein eisiges
Schweigen.
    Er hatte nichts
bewiesen. Anstelle von Beweisen hatte er versteckte Anschuldigungen
vorgetragen. Er hatte nicht an die Gerechtigkeit appelliert,
sondern an die Angst. Seine Rede war ein furchtbares Flickwerk aus
offenen Lügen und selbstgerechten Einschüchterungen. Und
trotzdem, welcher Mann, der ihn an jenem Morgen von der Rostra
hatte sprechen hören, konnte daran zweifeln, daß Erucius
seinen Fall gewonnen hatte?

30
    Cicero erhob sich und
ging mit entschlossenen Schritten und mit wehender Toga zur Rostra.
Ich warf einen Blick auf Tiro, der auf einem Daumennagel
herumkaute, und Rufus, der, die Hände im Schoß gefaltet,
dasaß und ein bewunderndes Lächeln kaum
unterdrücken konnte.
    Cicero trat auf die
Rednertribüne, räusperte sich und hustete. Eine Welle der
Skepsis erfaßte die Menge. Niemand hatte ihn je zuvor reden
gehört; ein verpatzter Einstieg war ein schlechtes Zeichen.
Auf der Anklägerbank schmatzte Erucius vernehmlich mit den
Lippen und starrte demonstrativ in den Himmel.
    Cicero räusperte
sich noch einmal und begann von neuem. »Richter dieser
Kammer: Wahrscheinlich wundert ihr euch, daß unter all den
ausgezeichneten Bürgern und hervorragenden Rednern, die in
euren Reihen sitzen, ausgerechnet ich mich erhoben habe, um zu euch
zu sprechen...«
    »ln der
Tat«, murmelte Erucius. Vereinzeltes Gelächter erhob
sich.
    Cicero machte unbeirrt
weiter. »Gewiß kann ich mich in Alter, Talent oder
politischem Gewicht nicht mit ihnen vergleichen. Gewiß jedoch
halten auch sie es, genau wie ich, für recht und billig,
daß eine mit unerhörter Skrupellosigkeit ausgeheckte
Anklage gegen einen unschuldigen Mann abgewehrt wird. So ist ihre
Anwesenheit ein Zeichen, daß sie ihrer Verpflichtung
gegenüber der Wahrheit für alle Welt sichtbar nachkommen
wollen, aber sie bleiben stumm - wegen der stürmischen
Bedingungen dieser Tage.« Er hob eine Hand, als wolle er
einen Regentropfen auffangen, der vom strahlendblauen Himmel fiel -
gleichzeitig jedoch sah er aus, als würde er eine Geste in
Richtung der Sulla-Statue machen. In den Reihen der Richter gab es
ein unbehagliches Stühlerücken. Erucius, der gerade seine
Fingernägel inspizierte, bekam nichts davon mit.
    Cicero räusperte
sich erneut. Als er fortfuhr, klang seine Stimme lauter und
kräftiger als zuvor, und die Unsicherheit war völlig
verschwunden. »Bin ich soviel mutiger als diese schweigenden
Männer? Fühle ich mich der Gerechtigkeit mehr
verpflichtet als sie? Ich glaube nicht. Oder bin ich so versessen
darauf, meine Stimme über das Forum hallen zu hören und
für meine offenen Worte gelobt zu werden? Nein, nicht wenn ein
besserer Redner dieses Lob verdienen könnte, indem er
passendere Worte fände. Was hat also mich anstelle eines
bedeutenderen Mannes dazu getrieben, die Verteidigung des Sextus
Roscius von Ameria zu übernehmen?
    Der Grund ist dieser:
Hätte einer dieser großartigen Redner sich erhoben, vor
diesem Gericht gesprochen und - wie in einem solchen Fall
unvermeidlich - Worte über die politischen Verhältnisse
verloren, dann hätten die Leute mehr in seine
Ausführungen hineingedeutet, als er tatsächlich gesagt
hätte. Gerüchte wären entstanden,
Verdächtigungen erhoben worden. Denn die bedeutende Position
dieser Männer bringt es mit sich, daß nichts, was sie
sagen, unbemerkt, keine Andeutung in ihren Reden undiskutiert
bleibt. Ich hingegen kann alles sagen, was in diesem Fall gesagt
werden muß, ohne widrige Aufmerksamkeit oder unangemessene
Kontroversen fürchten zu müssen. Denn ich habe mich nicht
in der Politik betätigt; kein Mensch kennt mich. Wenn ich mich
einmal zu frei äußere oder eine peinliche Indiskretion
fallen lasse, wird es wahrscheinlich niemand

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