Das Lächeln des Cicero
aufgerissenen
Augen über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. In dieser
Pose verharrte er eine Weile, dann trat er einen Schritt
zurück und holte Atem. Nach dem Donner seiner Stimme war es
jetzt auf dem Platz eigenartig still. Inzwischen hatte sich Erucius
so in Rage geredet, daß sein Gesicht schweißbedeckt
war. Er faßte den Saum seiner Toga und tupfte sich über
Stirn und Wangen. Er hob den Blick zum Himmel, als suche er
Erlösung von der mörderischen Qual, der Gerechtigkeit zum
Sieg verhelfen zu müssen. Mit wehleidiger Stimme, gerade laut
genug, daß jeder ihn hören konnte, murmelte er:
»Jupiter, gib mir die Kraft!« Ich sah, wie Cicero die
Arme verschränkte und die Augen verdrehte. Inzwischen hatte
Erucius sich wieder gefaßt, trat mit gesenktem Kopf erneut
vor und fuhr fort:
»Dieser Mann -
warum soll ich mir die Mühe machen, seinen besudelten Namen zu
nennen, da er es wagt, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu
zeigen, auf daß jeder anständige Mann es sehen und
entsetzt zurückschrecken kann - dieser Mann war nicht der
einzige Sprößling seines Vaters. Es gab einen zweiten
Sohn. Sein Name war Gaius. Wie sehr sein Vater ihn liebte, und
warum auch nicht? Nach allem, was man hört, war er ein
Beispiel dafür, wie jeder junge Römer sein sollte:
gottesfürchtig gegenüber den Göttern, gehorsam
gegenüber seinem Vater, ein Ausbund an Tugend, ein in jeder
Hinsicht angenehmer, charmanter und kultivierter Mann. Seltsam,
daß ein Mann zwei so unterschiedliche Söhne haben
konnte! Ah, aber die Söhne hatten verschiedene Mütter.
Vielleicht war es also gar nicht der Same, der verdorben war,
sondern der Boden, in den er gepflanzt wurde. Bedenkt: Zwei Samen
derselben Traube werden in unterschiedliche Böden gepflanzt.
Einer wächst zu einem kräftigen und anmutigen Weinstock
heran, der süße Früchte trägt, die einen
berauschenden Wein hervorbringen. Der andere ist verkümmert
und so ganz anders als der erste, knorrig und dornig; seine Trauben
sind bitter, sein Wein ist Gift. Ich nenne den ersten Weinstock
Gaius und den anderen Sextus!«
Erucius wischte
über sein Gesicht, erschauderte vor Ekel und fuhr fort.
»Sextus Roscius pater liebte den einen Sohn und den anderen
nicht. Gaius hielt er stets in seiner Nähe, stellte ihn stolz
der besten Gesellschaft vor und überhäufte ihn
öffentlich mit Güte und Zuneigung. Sextus filius hingegen
hielt er sich so weit vom Leibe, wie er nur konnte, verbannte ihn
auf die Güter der Familie in Ameria, versteckte ihn, als ob es
eine Schande wäre, ihn in Gesellschaft anständiger
Menschen zu zeigen. So tief ging diese Teilung seiner Zuneigung,
daß Roscius pater lange und ernsthaft darüber
nachdachte, seinen gleichnamigen Sohn zu enterben und Gaius zum
alleinigen Erben einzusetzen, obwohl jener der jüngere der
beiden Söhne war.
Ungerecht, mögt
ihr sagen. Es ist besser, wenn ein Mann alle seine Söhne mit
gleicher Rücksicht behandelt. Wenn er sich aber einen Liebling
erwählt, so fordert er damit die Probleme in seiner und der
nachfolgenden Generation geradezu heraus. Wohl wahr, aber in diesem
Fall müssen wir, denke ich, das Urteil dem älteren Sextus
Roscius überlassen. Warum hat er seinen Erstgeborenen so sehr
verachtet? Ich glaube, er muß, besser als jeder andere, die
Bösartigkeit gesehen haben, die in der Brust des jungen Sextus
Roscius lauerte, und ist vor ihr zurückgeschreckt. Vielleicht
hatte er sogar eine Vorahnung von der Gewalt, die sein Sohn eines
Tages gegen ihn anwenden würde, und hat ihn deshalb so auf
Distanz gehalten. Doch leider hat diese Vorsichtsmaßnahme
nicht ausgereicht!
Die Geschichte der
Roscier endet in vielfältiger Tragik -eine Serie von
Tragödien, die nicht wiedergutzumachen sind, sondern nur
gerächt werden können, und zwar von euch, verehrte
Richter. An erster Stelle steht der viel zu frühe Tod des
Gaius Roscius. Mit ihm starb jede Zukunftshoffnung seines Vaters.
Bedenkt: Ist es nicht die größte Freude eines Mannes,
einem Sohn das Leben zu schenken und in ihm ein Bild seiner selbst
zu sehen? Ich weiß es, denn ich spreche hier selbst als
Vater. Und wird es dereinst, wenn wir dieses Leben hinter uns
lassen, nicht ein Trost und Segen ein, einen Nachfolger und Erben
von eigenem Fleisch und Blut auf Erden zu wissen? Nicht nur
irdische Güter zurückzulassen, sondern unsere gesammelte
Weisheit, ja die Flamme des Lebens selbst, die vom Vater an den
Sohn weitergereicht wird, auf daß er sie seinen Söhnen
übergibt, so daß wir,
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