Das Lächeln des Leguans
Vielleicht war das Ganze ja bereits in den unterbewussten Schichten meiner persönlichen Geologie
angelegt; vielleicht brodelte diese Brühe aus flüchtigen Trieben, die nur darauf warteten zu explodieren, schon lange in meinem
inneren Magma – jedenfalls habe ich mich für Luc starkgemacht.
Es geschah an einem herrlichen wolkenlosen Samstag im Juni, einem jener ersten wahrhaft euphorischen Sommertage. Ich kam gerade
mit einem ansehnlichen Vorrat an Pfefferminzbonbons aus Langlois’ Laden und dachtean nichts anderes als an die bevorstehende Glukoseorgie, da sah ich Luc und die ihn umzingelnden höhnischen Zyklopen. Sie
hatten ihm aufgelauert, als er mit seiner reichen Ausbeute vom Strand zurückgekehrt war: zwei pralle Säcke voller kostbarer
Flaschen. Die Einäugigen beabsichtigten, die Ware des Mongolen zu besteuern, und als dieser den gesunden Menschenverstand,
diesem Folge zu leisten, vermissen ließ, hatten sie sich darangemacht, ihn, beginnend mit den Extremitäten und unter besonderer
Berücksichtigung der Weichteile, ganz allmählich umzubringen. Ich weiß wirklich nicht, was in mich fuhr, doch als ich sah,
wie sie alle auf einmal über den armen Luc herfielen, um ihn in Stücke zu reißen, überkam es mich und ich ging auf sie zu,
um Einspruch zu erheben. Erst später wurde mir klar, wie dumm das von mir war. Schon bereute ich meinen Schritt, doch gab
es kein Zurück mehr: Das Auge des Zyklopen war auf mich gerichtet. Ein angesichts meines Wagemuts zunächst noch staunendes
Auge, doch die unverhoffte Wendung schien Canuel zu gefallen, der zweifellos schon damit befasst war, mein Potenzial als künftiger
Sündenbock abzuschätzen. Was Luc, diesen auf absehbare Zeit nutzlosen Gebrauchsartikel, betraf, so wirkte er völlig weggetreten,
als wüsste er von nichts; da er es kaum gewohnt war, dass man für ihn Partei ergriff, wusste er wahrscheinlich nicht, wie
er reagieren sollte. Indessen hatte Canuel das Stadium des Überlegens hinter sich gelassen und schritt mit seinem berüchtigten
Haifischgrinsen auf mich zu. Ichwollte eigentlich zurückweichen, doch einer seiner Komplizen, ein fetter Kerl mit dem poetischen Spitznamen Walroß, stellte
mir ein Bein, und ich kippte um, besiegt und reumütig, wie ein Baum in Témiscamingue, dem Land der Holzfäller. Der König der
Kannibalen beugte sich über mich. Er wirkte so ausgehungert, als wollte er mich im nächsten Moment mit Haut und Haaren verschlingen,
und ich biss die Zähne zusammen, um mich auf die Qualen einzustellen. Doch in dem Augenblick, da meine Windschutzscheibe zerschmettert
werden sollte, geschah etwas Erstaunliches. Luc, dieser menschliche Punchingball, dieser Apostel der Gewaltlosigkeit, unser
hiesiger Ghandi, verwandelte sich plötzlich in eine rasende Bestie. Er wehrte sich wie eine wilde Katze auf einer Heizplatte,
befreite sich aus den Fängen des stämmigen Zyklopen, fiel über meinen Peiniger her und warf ihn zu Boden. Die Schurken grölten
und stürzten gemeinsam auf ihn los, jäh gebremst vom Anblick eines aus dem Nichts gezückten Messers, das Luc Canuel an die
Kehle hielt. Der kleine Nazi war leichenblass. Er versuchte immer wieder verzweifelt, seinen Adamsapfel hinunterzuschlucken.
Würde man ihm den Luftröhrenschnitt seiner Träume verpassen? Er pinkelte in seine Jeans, worüber niemand lachte, denn wir
waren alle kurz davor, dasselbe zu tun. Luc drückte auf die Klinge, und ich dachte, jetzt sei es so weit, er würde der letzten
Versuchung nachgeben. Doch am Ende sagte er dem entsetzten Rowdy nur die gewichtigen Worte ins Gesicht:
»Deine Knochen werden unter tropischer Sonne bleichen.«
Sie glitten aus seinem Mund wie Filzpantoffeln über gebohnertes Parkett. Und zugleich fiel mir auf, dass ich Luc zum ersten
Mal sprechen hörte, allerdings faszinierte mich weniger der Inhalt seiner Worte als der Klang seiner Stimme, die tief und
erstaunlich reif wirkte. Canuel verstand von der Sache mit den Tropen wahrscheinlich nur Bahnhof, doch nahm er sich die kryptische
Anspielung auf seine Knochen sichtlich zu Herzen und sank zu Boden. Luc stand auf und entfernte sich vom Wirbellosen, während
die übrigen Hohlköpfe angesichts des furchterregenden Mongolen mit ungläubigen Mienen nach wie vor respektvoll Distanz hielten.
Canuel hievte sich mühsam auf die Beine. Er betastete seine Kehle und wollte zweifellos so etwas wie den Befehl zu einer gewaltigen
Attacke kläffen, doch
Weitere Kostenlose Bücher