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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gebannt im Schein der Taschenlampen. Allabendlich entrollt sich auf dem Ufer eine endlose Feuerschlange,
     und Hunderte von Scheiterhaufen werden von den Anbetern des kleinen Fischesumschwirrt. Es ist ein Pöbel, der sich aus den verschiedensten Gattungen der Spezies Mensch zusammensetzt: Bowlingspieler
     nach einem Turnier, angeheiterte Kolumbus-Ritter, Amerikaner im Urlaub, unverbesserliche alte Hippies, die auf der Suche nach
     Brennholz Zäune abmontieren, verdutzte, Forellenkescher schwenkende europäische Touristen, aber auch echte Fischer, in Stiefeln,
     die ihnen bis zur Taille reichen, die Arme voller Seebarben. Luc und ich halten Ausschau. Wir schlendern von einer ausgelassenen
     Zigeunerschar zur nächsten, plaudern mit den verschiedensten Leuten über alles Mögliche, vor allem aber über sagenhafte Fischfänge,
     wobei wir aus den Augenwinkeln die jeweiligen Trinkvorräte prüfen. Diese nach Wundern Lechzenden sind nämlich immerzu durstig.
     Sie lassen überall die richtige Flaschensorte zurück, die mit Pfand, für die man Lösegeld fordern kann, und wir merken uns
     für den nächsten Tag die Stellen mit den üppigsten Vorräten, wobei wir uns im Voraus den langen Weg durch die Wüste einprägen.
     Man muss mit seinen Schritten sparsam umgehen, denn sich auf die Jagd zu begeben, bedeutet, eine weit verstreute Beute einzusammeln.
     Es ist ein wenig wie beim Fallenstellen, nur weniger brutal. Oder auf Isländisch gesagt: Die Flaschen sind wie die Eiderdaunen,
     die dort gesammelt werden, fragil, nicht leicht aufzuspüren, immer wohlverdient. Die Strände nämlich, so herrlich sie auch
     sein mögen, sind manchmal ganz schön lang. Man braucht stramme Waden und guten Mut, dochdann erlebt man die Genugtuung über den prall gefüllten Beutel, die Freude am eigenen Unternehmen – und natürlich den Profit.
     Fünf Cent pro Flasche, das bringt schon was ein. Der Ehrgeiz packt uns. Schon wollen wir expandieren, den Markt vergrößern,
     den Produktionsrhythmus beschleunigen. Wir warten nicht einmal mehr die Morgendämmerung ab, um auf die Jagd zu gehen: Gestern
     haben wir die Euphorie über die ersten Dorschschwärme ausgenutzt, sind in die Zelte von ein paar sternhagelblauen Studenten
     geschlichen und haben zwei Bierkisten geklaut. Wir haben die Flaschen in den durstigen Sand ausgeleert und auch ein paar Schluck
     getrunken, stolz, so florierende Geschäfte zu machen. Diese Woche habe ich zwölf Dollar eingenommen, die ich gleich in Süßigkeiten
     angelegt habe. Luc ist weniger kindisch; was er nicht verqualmt, wird gespart. Er versteckt seine Moneten in einem alten Reifen,
     den er nicht weit von seinem Zuhause, am Fuß von Les Gigots, diesen Felsnasen aus Granit, die die Bucht im Westen begrenzen,
     vergraben hat.
     
    *
     
    Er wohnt in einem alten gelben Wohnwagen, dessen Farbe abblättert. Diese Bruchbude steht auf einem baumlosen Gelände, inmitten
     von Hummerkäfigen, kaputten Bojen und Autowracks, doch die Trostlosigkeit des Ortes wird durch den an dieser Stelle atemberaubenden
     Panoramablick aufs Meer aufgewogen. Lucs Mutter habe ichnoch nicht gesehen, aber sein Vater besitzt einen von Rost zerfressenen roten Lieferwagen, dem er ziemlich ähnlich sieht:
     ein zerzauster rothaariger Hüne, eine Art ehemaliger Sumoringer, der abscheuliche Unterhemden trägt und genauso verwahrlost
     wirkt wie sein Auto. Rein äußerlich scheinen er und Luc, bis auf das Mützen-Gen, nichts gemeinsam zu haben, allerdings lässt
     sich wegen der großen Entfernung kein genauer Vergleich anstellen. Wir machen nämlich immer einen großen Bogen um Lucs Zuhause,
     wobei er mich jedes Mal eilig weiterzieht, ganz gleich, ob sein Vater zu sehen ist oder nicht.
    Der alte Bezeau ist Fischer. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt, und Luc fährt oft mit ihm hinaus aufs Meer. Durch mein
     Fernglas kann ich sehen, wie sie in ihrem großen Boot auf der Dünung reiten. Sie pilken stundenlang auf Dorsche, ziehen hin
     und wieder einen Heilbutt aus dem Wasser oder verfolgen einen Makrelenschwarm und fangen mit ihren mächtigen Hochseeangeln
     lauter Silberblitze. Bei der Rückkehr kümmert sich Luc darum, den Fang auszunehmen und den für den Verkauf bestimmten Anteil
     in einem gekühlten Behälter hinten auf dem Lieferwagen zu verstauen. Man muss ihn einmal dabei gesehen haben, wie er einen
     Fisch zerlegt. Er geht genauso vor wie beim Ministrieren, mit derselben Effizienz, derselben Konzentration. Von meinem Versteck
     ganz

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