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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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unterschätzt, und so schlief auch ich ein. Ich hatte einen seltsamen Traum. Da war dieser Golfspieler,
     den Luc angeblich in manch einer Nacht am Strand gesehen hatte. Er war groß und hager, sein Kopf in Dunkelheit gehüllt. Er
     kam von Westen her, maß das Ufer mit großen, mathematischen Schritten ab und drehte sich wie ein Zirkel auf seinen dürren,
     stelzigen Beinen. Hin und wieder blieb er stehen und feuerte mit einem Schläger aus Licht phosphoreszierende Bälle in den
     Himmel, bis zu den Sternen. Sein Gesicht war in Finsternis gehüllt, doch bei seinen Schwüngen holte er weit aus und die leuchtenden
     Bögen, die er in den Weltraum zeichnete, waren makellos. Oh, der vollkommene Schlag des Golfspielers   …
    Ich wachte ganz benommen davon auf, dass die aufgehende Sonne mir mitten ins Gesicht schien. Die Nacht hatte sich heimlich
     davongestohlen, wie Luc, der nur den Abdruck seines Körpers neben mir zurückgelassen hatte. Ich ahnte nichts Gutes und machte
     mich auf zu Les Gigots, wo ich ihn anzutreffen hoffte. Im Gehen stellte ich mir die qualvolle, schlaflose Nacht vor, die meine
     Mutter und meine Großeltern wahrscheinlich hinter sich hatten. Zum Glück kam ich nicht an unserem Haus vorbei, wo sie vermutlich
     auf mich warteten, allerdings musste ich auf meinem Weg das des Schweinehundes passieren. Ich war noch ein ganzes Stück davon
     entfernt, als ich einen Aufruhr unter den Möwen bemerkte. Sie kreisten in einem dichten Schwarm direkt über dem Wohnwagen.
     Sie gingenim Sturzflug auf das Ufer nieder, als würden sie sich um ein paar köstliche Kabeljauhappen streiten. Als ich näher kam, bemerkte
     ich den Grund für ihre Aufregung: ein Haufen Eingeweide, die jedoch weder von einem Kabeljau noch von einem Heilbutt stammen
     konnten. Es mussten mindestens die eines Haies sein   …
    Luc lag mit dem Leguan im Arm in der Grotte und schlief. Seine Augen waren geöffnet, doch er schlief. Mit Blut befleckt, das
     nicht das seine war, träumte er und murmelte in der Ftan-Sprache. In der Hand hielt er noch immer sein Messer.

27
    Lucs Blick streift, ohne mich wahrzunehmen, den meinen. Tief in seinem Inneren scheint etwas zerbrochen zu sein. Nach dem
     Aufwachen hat er sich im Ozean gewaschen, sich von all dem getrockneten Blut gereinigt, ganz selbstverständlich, als handelte
     es sich um gewöhnlichen Schmutz. Er möchte über das, was sich beim Schweinehund ereignet hat, nicht sprechen. In seinen Augen
     hat es nicht die geringste Bedeutung. Für ihn handelt es sich im Vergleich zu dem, was er im Traum erlebt hat, um einen kaum
     nennenswerten Vorfall.
    Luc ist in der »Stadt der Ranken« gewesen. Er behauptet, das sei das Resultat seiner Tat im gelben Haus:Der Schweinehund habe dafür zweifelsohne krepieren müssen. Aber der Schuft sei nunmehr besiegt, und sein Tod erweise sich
     als gerechtfertigt, da Luc endlich durch die wallenden Alleen der Stadt in der Tiefe geschwommen sei. Er habe Ftan gesehen
     und wisse jetzt, dass die Stadt eine zyklopische Qualle sei, eine gigantische Portugiesische Galeere, an deren Tentakel sich
     die durchsichtigen Schläuche, die den Unterwasserwesen als Behausungen dienen, wie Gelege heften. Er habe Ftan erkundet, die
     lebendige symbiotische Stadt, die von den Sirenen genährt werde und die diese im Gegenzug vor den Raubfischen des Ozeans schütze.
     Die Stadt Ftan, die einen wie ein violettblauer Himmel überrage, mit ihren schleimigen Bauwerken und auf den Kopf gestellten
     Minaretten, die sich in der Strömung winden, mit ihren Gärten aus Seeanemonen, ihren Parks aus wogenden Algen. All das hat
     Luc gesehen, und er versucht, es mir zu beschreiben, doch seine schwere Zunge sucht vergebens nach den richtigen Worten, um
     die ganze fließende Pracht von Ftan wiederzugeben. Ich müsste mir für die Dauer eines Traums seine Augen ausleihen. Er selbst
     hat übrigens nur einen Bruchteil der Stadt besucht; ihm sei gerade genügend Zeit geblieben, um ihre gallertartigen Vororte
     zu erkunden, denn der Traum sei wieder einmal zu schnell zu Ende gewesen. Er behauptet jedoch, dass der nächste ihn ins pulsierende
     Herz der Ranken führen werde, bis ins üppig wuchernde Zentrum, wo die Tritonen sich versammeln. Aber bis dahin stelle die
     Sonne seine Geduld auf die Probe. Luc würdesie am liebsten ausschalten, mit der Fernbedienung vorspulen. Er verflucht den eintönigen Tag, der sich in der Bucht schier
     endlos hinzieht. Er beschwört ihn, der blühenden Nacht und den

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