Das Lächeln des Leguans
gelähmt.
In einer Julinacht hatte sie hilflos, bis auf die Haut durchnässt, mit dem Kind vor seiner Tür gestanden. Sie hatte ein ganz
verquollenes Gesicht und wirkte völlig verschreckt, unfähig, zu sagen, was geschehen war. Loiselle hatte erneut die Polizei
gerufen, die den Fischer abholte und für vierundzwanzig Stunden in Gewahrsam nahm. Luc und seine Mutter hatten in jener Nacht
im Pfarrhaus geschlafen, und der Priester hatte alles versucht, um die lethargische junge Frau aufzurütteln, doch sie war
zu verstört. Das brutale Verhalten des Fischers hatte sie gebrochen, und inzwischen hielt sie sich selbst für schuldig, als
sei sie für ihr Schicksal und alles, was geschehen war, allein verantwortlich. Sie glaubte, diesen Leidensweg verdient zu
haben, und Loiselle konnte ihre gepeinigte Seele durch nichts aufhellen. Er hatte den ganzen folgenden Tag in der Kirche gebetet.
Als Bezeau am Abend auftauchte und nach seiner Familie verlangte, war sie ihm schweigend gefolgt. Tags darauf hatte das Meer
sie fortgetragen …
Inzwischen war durch das Fenster nur noch die Brandung zu hören. Der Priester schwieg, und das Meer hattedas letzte Wort, wie in jener fernen Nacht in Lucs Vergangenheit, wie in jeder Nacht überall in der Welt. Der Geistliche vergrub
sein Gesicht in den Händen. Luc saß reglos da, eine Statue mit geballten Fäusten, ein rachitischer
Denker
mit Tränen in den Augen, eine starre Verkörperung der Gelenkversteifung, die uns alle befallen hatte. Die Sekundenfasern verwuchsen
miteinander. Eine Staubwolke aus Zeit strich die Wände entlang. Ich hatte das Bedürfnis zu explodieren, doch da war diese
Reglosigkeit, die mit der Trägheit frischen Betons auf mir lastete und mich in die Ritzen des Sofas presste, diese überwältigende
Leere, diese des alten Ägyptens würdige Stille, die zäh wie Harz dahinfloss und uns in ihrem Bernstein gefangen hielt. Dieser
offenbar durch nichts zu erschütternde Stillstand wurde vom Geistlichen aufgehoben, der schließlich das Wort ergriff. Er sagte,
er habe etwas für Luc. Er quälte sich aus seinem Sessel und verließ den Raum. Wir hörten die Treppe unter seinen Schritten
ächzen, dann kam Loiselle mit einem vergilbten Umschlag zurück, den er in seinem Briefkasten gefunden hatte, kurz bevor Chantals
Kleider am Ufer entdeckt worden waren. Er habe eigentlich warten wollen, bis Luc volljährig sei, und ihn Luc erst dann geben
wollen, aber jetzt wisse er ja Bescheid …
Der bereits geöffnete Umschlag war an Luc adressiert. Er enthielt einen Brief, den er überflog, während der Priester händeringend
sein Mitgefühl bekundete und von den anschließenden Ermittlungen und Zeugenaussagenberichtete, die bewiesen hätten, dass Bezeau die Nacht in einer Bar in Villeneuve verbracht hatte, was ihn natürlich entlastete.
Der Brief glitt Luc aus den Fingern. Sein Blick war der eines Toten. Ich hob den Brief auf, während Loiselle weitersprach.
Der Brief war von ihr. Ein Brief, in dem sie beteuerte, dass sie ihn unendlich liebe, aber auch ein Abschiedsbrief, in dem
sie erklärte, dass ihr die Kraft zum Weiterleben fehle. Sie bedauere, ihn auf dieses Weise zu verlassen, und bat ihn um Verzeihung.
Sie versprach, von dort oben, wo sie von nun an sein werde, über ihn zu wachen. Luc gab ein Quaken von sich, und ich spürte,
wie sein Körper neben mir nachgab. Wie eine Stoffpuppe sank er in meine Arme. Er war ganz durchsichtig, fast astral; er atmete
kaum. Ich sprach ihn an, schüttelte ihn. Ich wollte irgendein Zeichen von ihm, dass er bei Bewusstsein sei, dabei war er ein
einziger Abgrund und vermochte nur noch zu stöhnen. Der Geistliche kniete sich neben ihn und versuchte ebenfalls, ihn wiederzubeleben,
wobei er ihm törichterweise den Sauerstoff entzog. Und dann musste er sich, als sei er nicht ohnehin eine einzige Zumutung,
gerade in diesem Moment einem Anfall geistig umnachteter Selbstanklage hingeben: Er flehte Luc an, mit ihm zu sprechen, zu
antworten, machte sich Vorwürfe, versagt zu haben, und bettelte um Vergebung, um Verständnis. Stöhnend wie ein riesiger geprügelter
Hund, bat er ihn immer wieder um Verzeihung, dermaßen von Sinnen, dass er nicht merkte, dass er ins Leere flehte. Ich forderte
ihn auf, mit dem Unsinn aufzuhören, und alser fortfuhr, versetzte ich ihm einen Stoß. Der Geistliche richtete sich mit einem Ruck auf und eilte vor sich hin stammelnd
aus dem Raum. Ich zog Luc sogleich hoch,
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