Das Lächeln des Leguans
Loiselle hatte
ihren Sorgen umso aufmerksamer Gehör geschenkt, als er ähnliche Befürchtungen hegte: Trotz ihrer beider Vorsicht war über
das, was sich ereignet hatte, im Hafen geredet worden. Offenbar gab es mehrere Zeugen der Vergewaltigung. Gerüchte kursierten,
und es stand zu befürchten, dass sie auch dem Fischer zu Ohren kommen würden. Das hatte von ihr eine schmerzliche, doch unumgängliche
Entscheidung verlangt: Als Chantal zu ihm kam, um seinen Rat einzuholen, hatte Loiselle ihr geraten, ihrem Mann die Wahrheit
zu offenbaren. Sie hatte ihm recht gegeben, ihr bliebe nichts anderes übrig, vorausgesetzt, sie könne die Kraft dafür aufbringen.
Fest entschlossen, ihr bis zum bitteren Ende zur Seite zu stehen, hatte Loiselle angeboten, sich der Sache anzunehmen, und
den Fischer zu sich bestellt.
Nun brauchten wir den Priester nicht länger zum Sprechen zu drängen. Kreidebleich und schweißgebadet befreite er sich von
der Bürde des Schweigens, und die Sätzesprudelten nur so aus ihm hervor, als würden sie von einem Eisgang der Seele fortgetragen. Er erzählte, wie er Bezeau in ebendem
Wohnzimmer, in dem wir jetzt saßen, empfangen hatte. Wie er ihm ganz behutsam offenbart hatte, bei welchem Gewaltakt Luc entstanden
war, wobei er ihm die seelischen Nöte schilderte, die dessen Mutter durchlitten hatte, in der Hoffnung, das Mitgefühl des
Fischers zu erregen. Und er hatte geglaubt, das sei ihm gelungen. Als er den unglücklichen Bezeau, dem es die Sprache verschlagen
hatte, an jenem Abend zur Tür begleitet hatte, war er der festen Überzeugung, ihm vermittelt zu haben, worin seine Pflicht
als Christ und Ehemann bestehe. Er hatte jedoch die angeborene Paranoia des Fischers unterschätzt, und als Loiselle tags darauf
das Paar aufsuchte, um ihm seelischen Beistand zu leisten, war er von einem ganz und gar veränderten Menschen empfangen worden.
Einem betrunkenen, völlig aufgelösten Mann, der ganz außer sich war vor verletztem Stolz. Einem gewalttätigen Mann, der sich
partout weigerte, an die Unschuld seiner Frau zu glauben. Er bezichtigte Chantal, die kollektive Schändung insgeheim herbeigewünscht,
ja provoziert zu haben, und unterstellte dem Geistlichen sogar, daran beteiligt gewesen zu sein. Er wetterte, man habe ihn
hintergangen und er werde sich nicht so einfach austricksen lassen. Loiselle hatte versucht, den Fischer zur Vernunft zu bringen,
doch der hatte nur mit seinem Gewehr herumgefuchtelt und den, der seiner Meinung nach an allem schuld war, fortgejagt. Der
Priesterhatte die Flucht ergreifen und Chantal und das Baby, beide in Tränen aufgelöst, zurücklassen müssen. Er hatte die Polizei
alarmiert und dann gebetet, dass Bezeau sich wieder beruhigen, mit einigem Abstand das Geschehene begreifen und akzeptieren
möge. Doch der Wahn hielt an, und die Situation verschlimmerte sich nur noch.
Bezeau nahm einfach keine Vernunft an. Die Verzweiflung seiner Frau ließ ihn gleichgültig, und besessen vom fremdartigen Aussehen
des Kindes, verfiel er dem Alkohol. Er lehnte den nichtswürdigen Bastard ab und verlangte, dass man ihm einen anderen Namen
gebe. Das Haus war zu einem Kloster geworden, zu dem niemand Zutritt hatte, in dem Chantal gefangen gehalten wurde. Wenn der
Fischer aufs Meer hinausfuhr, nutzte Loiselle die Gelegenheit, um heimlich mit ihr zu beten und ihr Trost zu spenden, doch
die junge Frau verkümmerte allmählich in der beklemmenden Atmosphäre ständiger Vorwürfe. Sie musste sich Bezeaus Drohungen
anhören, dem Kind den Hals umzudrehen, und Chantal traute sich nicht einmal mehr zu schlafen, aus Angst, er könne seine Drohungen
wahrmachen und das Kind, diesen Sohn, den sie trotz allem liebte, erdrosseln. Loiselle hatte ihr geraten, mit einem Frauenhaus
Kontakt aufzunehmen, den Fischer zu verlassen und in die Stadt zu ziehen, doch sie schien das für undenkbar zu halten, so
etwas würde er nie zulassen, das würde er ihr heimzahlen. Sie war am Ende. Vergewaltigung, Schwangerschaft und die Verantwortung
als Mutter, dazu die ständige Angst und Schlaflosigkeithatten sie ausgelaugt und in eine Depression gestürzt, aus der sie nicht mehr herausfand. Ihr Martyrium ließ sie kein Licht
am Ende des Tunnels erkennen und hinderte sie daran, über die nächste Stunde, das unmittelbare Überleben, die Versorgung des
Kindes hinauszublicken. Und auch der Geistliche fühlte sich schließlich, von Machtlosigkeit übermannt, wie
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