Das Lächeln des Leguans
sie die Polizei benachrichtigen, doch ich versicherte ihr, das sei nicht nötig, ich würde ihn
herbringen, und sei es gefesselt in einem Sack. Mit der Hilfe meiner Großeltern, die nichts wussten, aber das Schlimmste befürchteten,
packte Mama eine Tasche mit Vorräten, dann gab sie mir auf der Veranda noch letzte Anweisungen, nahm mir das Versprechen ab,
nur ja nichts Unvorsichtiges zu tun, und beauftragte mich, ihrem kleinen Clown etwas auszurichten: Er möge sich daran erinnern,
dass wir ihn alle lieben,und doch bitte unverzüglich nach Hause kommen. Nachdem sie mich mit Küssen bedeckt hatte, ließ sie mich schließlich mit besorgter
Miene losziehen, als würde ich in eine ferne, unerforschte Gegend aufbrechen.
Ich war fest entschlossen, Luc aus seinem Schneckenhaus zu holen. In der Nacht war ich nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss
gekommen, dass man es bestimmt nicht übers Herz bringen würde, meinen Freund ins Gefängnis zu stecken. Man würde angesichts
seines bedauernswerten Loses zutiefst gerührt sein und Milde walten lassen. Vielleicht würde man ihn sogar unserer Obhut anvertrauen,
was gewiss die beste Lösung wäre. Auf meinem Weg durch Les Gigots ging ich immer wieder meine Argumente durch und war voller
Zuversicht, meinen Freund zur Vernunft bringen zu können, doch schon bei meiner Ankunft wurde mir klar, dass es wohl doch
nicht so einfach sein würde, denn über der Bucht wehte ein schräger Wind. Luc war ganz hektisch, euphorisch und hüpfte aufgeregt
auf einem Bein, weil er es kaum erwarten konnte, mir zu erzählen, dass er endlich seine Mutter gefunden hatte.
Er behauptet, er sei ihr in der vergangenen Nacht in Ftan begegnet, und sie sei eine Sirene. Sie sei sogar die Königin der
Stadt und habe ihn in ihrem Palast aus Muschelseide, inmitten der Ranken, empfangen. Er verstehe jetzt alles, im Grunde habe
er es schon immer gewusst und mache sich Vorwürfe, der Wahrheit häufig zum Greifen nahe gewesen zu sein, ohne den Mut zu gehabt
haben,dieses Wissen zuzulassen, und törichterweise nicht bemerkt zu haben, dass es sich bei seinen Träumen um Appelle, um Botschaften
handelte, die seine Mutter über den Leguan an ihn gerichtet habe. Nun, da er sie gesehen, mit ihr gesprochen habe, bekomme
alles einen Sinn, werde alles mit einem Mal klar, endlich wisse er, wer er in Wirklichkeit sei. Er behauptet, aus der gewaltsamen
Vereinigung der jungen Sirenenkönigin und des Schweinehundes, der sie eines Nachts in seinen Netzen gefangen habe, hervorgegangen
zu sein. Er sei das hybride Produkt, das Kind aus dieser schändlichen Umarmung, das seine gedemütigte Mutter nach seiner Geburt
am Ufer habe zurücklassen müssen. Er sei nicht etwa Luc Bezeau, sondern Fngl Mgl’Nf, der aus der Stadt in der Tiefe verbannte
Prinz, der aufgrund der fremden Gene, die ihm ein Leben unter Wasser verwehrten, dazu verdammt sei, im Land der »Schweren«
auf dem Boden kriechend sein Dasein zu fristen. Und noch im selben Atemzug beteuert er, das werde sich schon bald ändern,
sein bitteres, widernatürliches Los gehöre der Vergangenheit an, denn die »Leichten« würden kommen und ihn zu sich holen:
Seine Mutter habe eine Eskorte losgeschickt, die ihn zu ihr bringen werde. Sie würden in Kürze eintreffen, ja sie müssten
bereits über die »Großen Sandbänke« hinwegjagen. Sie würden in rasender Geschwindigkeit durch die leuchtende Nacht preschen
und demnächst die Gestade des Golfes erreichen. Mit der siebten Flut würden sie eintreffen und ihn an der Île aux Œufs erwarten,
wo einstein Leuchtturm gestanden habe, ein Refugium für Vögel inmitten des Stromes. Luc sagt, unter ihnen seien Magier, die seine
Ftan-Seiten erkennen und ihm zeigen würden, wie sich seine »schwere« Gestalt abstreifen lasse. Sie würden ihm bei seiner Metamorphose
behilflich sein, sein Wesen neu erschaffen und ihm helfen, zu seiner aquatischen Natur zu finden. Er sagt, sie würden ihn
operieren, damit er im Wasser frei atmen könne, dann würde er mit ihnen aufbrechen, sie in die Tiefe des Ozeans begleiten
und wieder mit seiner Mutter vereint werden. Er schwört, es sei wahr, er begebe sich nach Ftan, und schon bald werde Fngl
seinem Volk zurückgegeben werden.
Er ist dabei, die Anker zu lichten. Die Freundschaftsbande, die wir geknüpft haben, binden ihn zwar nach wie vor an diese
Welt, doch ich kann in seinem hohlen Blick lesen, dass nicht einmal sie ihn auf Dauer
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