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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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– das ist für Luc eine andere Welt, ein anderes Leben.
    Als er es schließlich leid war, wie ein rastloser Werwolf über den Strand zu streifen, ist er zu mir gekommen und hat sich
     ans Feuer gehockt. Er ist gespannt wie ein Flitzebogen; beim geringsten Plätschern des Wassers springt er auf und lässt den
     Strahl seiner Taschenlampe über den Ozean schweifen. Er steckt sich eine Zigarette nach der anderen an, und der Rauch steigt
     vor seinen weißglühenden Gesichtszügen auf und verleiht ihm eine flüchtige Mähne. In dieser Julinacht meines zwölften Lebensjahres
     beobachte ich dich, Luc Bezeau, und du bist mir nach wie vor ein Rätsel, du Heimatloser, du stolzer Mongole, du hartnäckiger
     Träumer, du, mein Bruder.
     
    *
     
    Er sang wie ein Inuit und erfüllte unsere Lichtblase mit lauter Schwingungen, und ich stimmte, soweit es mir möglich war,
     in den hypnotischen Refrain ein. Es war ein Weg, Zeit und Bewusstsein außer Kraft zu setzen, die Sinne zu betäuben. Die Spannung
     ließ nach, und ich gähnte unentwegt, doch als ich gerade heftig zu frieren begann, hörte Luc auf zu singen, richtete sich
     auf und lauschte gespannt. Er trat aus dem Lichtkreis des Feuers und ließ den Strahl seiner Lampe über das Meer gleiten. Er
     beleuchtete vor allem die Nebelschwaden, doch plötzlich stieß dasLicht auf etwas. Auf der Wasseroberfläche bewegten sich irgendwelche Gestalten. Mich packte eine entsetzliche Angst, denn
     dort kamen sie! Entgegen allen Erwartungen tauchten die Wesen aus Ftan tatsächlich auf, und ihre glänzenden Körper schimmerten
     im »schweren«   … Doch als ich näher hinsah, merkte ich, dass ich mich von der fantastischen Stimmung des Augenblicks hatte mitreißen lassen:
     Da, wo ich ein ganzes Gefolge von Tritonen zu erkennen geglaubt hatte, ragten lediglich Äste aus dem Wasser. Ein ganzer Baumstamm,
     den die Flut angeschwemmt hatte, ein Baum von den Gestaden einer Welt, in der niemand vorgab, die Unwetter beherrschen zu
     können. Luc schaltete seine Taschenlampe aus. Er kehrte zurück ans Feuer. Ihm war nicht länger nach Singen zumute.
    Kurz darauf kam von Süden her eine Brise auf, die das Meer kräuselte und den Nebel vertrieb. Inzwischen ist die Nacht ganz
     klar, makellos, und angesichts der aseptischen Vernunft der Edelsteine, die sie mit sich führt, lässt sich nur noch schwer
     an Magie glauben. Die Flut wird nicht mehr höher steigen. Das Gefälle der Stunden wird demnächst kippen, und Luc raucht wie
     ein Automat. Er will so unbedingt, dass endlich etwas geschieht, dass er beinahe explodiert.
     
    *
     
    Gegen Mitternacht vernahm Luc den Ruf. Wie ein Flüstern, das die Wellen herbeitrugen, und auch wie der Klang eines Tritonenhorns.
     Ich hatte nichts gehört, aberer behauptete, diese Laute deutlich vernommen zu haben. Verklärt beteuerte er, sie seien dort, nicht weit vom Ufer, und hätten
     sich auf dem Meeresgrund inmitten von Wracks einstiger Kriegsschiffe versammelt, nur würden sie sich nicht zeigen wollen.
     Aus Vorsicht würden die aus Ftan Kommenden sich hüten, aufzutauchen, doch sie seien tatsächlich dort und würden ihn erwarten.
     Sie wünschten, dass er zu ihnen stoße. Und Luc würde sie gewiss nicht enttäuschen wollen. Außerdem hatte er alles vorbereitet:
     Er sprang in das Boot und hob den Deckel der Kiste an, die einen Taucheranzug enthielt, und zwar den von Luigi, mit allem,
     was dazugehörte. Sprachlos sah ich ihm dabei zu, wie er in den Neoprenanzug stieg und die zu langen Ärmel hochkrempelte. Dann
     gab ich mir einen Ruck, da ich doch schließlich einschreiten musste, und versuchte, ihn vor den mit einem solchen nächtlichen
     Tauchgang – insbesondere für einen Neuling wie ihn – verbundenen Gefahren zu warnen. Ich ließ nicht locker, legte immer weiter
     nach, um ihn zur Vernunft zu bringen. Ich versicherte ihm, dort unten gebe es kein Tritonenhorn und schon gar keine Tritonen,
     das bilde er sich nur ein, aber ich verschwendete meine Energie. Eher hätte ich das Meer selbst überzeugen können. Luc zog
     seine Flossen an und befestigte einen gezackten Dolch an einem Bein, dann schnallte er sich seine Druckluftflasche auf den
     Rücken, und ich wusste, dass ich ihn nicht aufhalten konnte: Die Gesandten seiner Mutter erwarteten ihn, und selbst seine
     Furcht hätte ihn nicht von seinem Vorhabenabbringen können. Er verkündete, er habe keine andere Wahl, er müsse selbst nachsehen, und sei es nur, um alle Zweifel auszuräumen.
     Er

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