Das Lächeln meiner Mutter
Sender, Kanal 6 , empfangen könne, den sie, wie ich wisse, verabscheue und auf dem den ganzen Tag lang Sendungen liefen, von denen eine dümmer sei als die andere und die ihr im Übrigen schaden sollten. Ich müsse ihr aufs Wort glauben und mich mit Manon, die sie schon vormittags angerufen habe, absprechen, damit wir sie möglichst rasch da herausholten.
In Anbetracht ihrer körperlichen Schwäche erschreckte mich ihre Panik. Ich begriff sofort, was los war.
Ich trieb eine Krankenschwester auf, die mir mit hörbarem Seufzen, noch bevor ich ihr die Frage stellen konnte, die mich umtrieb, mitteilte, Lucile sei eine schwierige Patientin. Mit Grund. Die Anweisungen für die Wiederaufnahme ihrer Medikation, die während der Operation ausgesetzt worden war, weil sie die Atmung beeinträchtigen konnte, waren verlorengegangen. Lucile erhielt hohe Dosen Morphium, ohne dass ihr auch nur ein Medikament zum Ausgleich verabreicht wurde.
Ich hatte einen recht harschen Wortwechsel mit der Krankenschwester, die mir zusagte, mit dem Arzt darüber zu sprechen. Die Dinge kamen wieder ins Lot, sobald Lucile kein Morphium mehr bekam und ihre Medikamente wieder einnahm.
Zwei Wochen später wurde Lucile aus dem Krankenhaus entlassen, und ich holte sie mit dem Taxi ab, um sie direkt zu Manon zu bringen.
Manon hatte sich alles so eingeteilt, dass sie Lucile für die Genesungszeit bei sich aufnehmen konnte. Ich hatte ihr nicht angeboten, sie bei mir unterzubringen, nicht nur wegen des Platzmangels, sondern vor allem weil ich mir nicht vorstellen konnte, Lucile länger als ein paar Tage zu ertragen. Ich bewunderte meine Schwester dafür, dass sie dazu imstande war.
Ich weiß, wie dankbar Lucile ihr dafür war.
Als sie wieder mobil und kräftig genug war, kehrte Lucile in ihre kleine Wohnung zurück, wo ihre Pflanzen, die ich regelmäßig gegossen hatte, ihre Abwesenheit überlebt hatten.
An einem Sonntagnachmittag, als wir zusammen Tee trinken wollten, kam Lucile zur verabredeten Zeit und erklärte mir ohne weitere Einleitung – wie sie mir sagte, hatte sie es tags zuvor auch Manon genauso verkündet –, sie wolle nicht mehr weitermachen. Sie habe nachgedacht, die Operation sei notwendig gewesen, der Tumor sei entfernt worden, doch die Chemotherapie wolle sie nicht machen.
Ich vermag nicht zu sagen, was in jenem Moment in meinem Kopf passierte, eine Art plötzlicher Kurzschluss von seltener Heftigkeit schaltete mein Schamgefühl und meine Zurückhaltung aus: Ich brach in Schluchzen aus und schrie Lucile an, sie habe kein Recht, so zu handeln. Meine Panik und meine Heftigkeit schienen sie ins Schwanken zu bringen. Angesichts meiner Verzweiflung senkte sie die Waffen. Ich konnte ihr abringen, dass ich einen neuen Termin mit ihrem Onkologen (bei dem sie bereits gewesen war und dem sie, wie sie zugab, nichts von ihrem Entschluss gesagt hatte) machen durfte, damit er ihr in meiner Gegenwart die Folgen eines solchen Entschlusses erläuterte. Ich wolle nur, dass sie die volle Tragweite ermessen könne, wenn sie dann bei ihrer Entscheidung bleibe, würde ich sie respektieren.
Lucile willigte ein.
Einige Tage darauf begleitete ich sie in die Klinik Saint-Louis, wo der Arzt, der schon ganz anderes erlebt hatte, sie endgültig von der Chemotherapie überzeugte.
Über die Monate, in denen Lucile ihre Chemotherapie machte, möchte ich nicht viel schreiben. Heutzutage hat jeder von uns Umgang mit einem Menschen, der die äußerste Aggressivität des Krebses und seiner Behandlungen ertragen muss oder musste.
Lucile behielt ihr Haar, sie nahm zu und lag, völlig erschöpft und vom Kortison gedunsen, stundenlang in ihrer Wohnung auf dem Bett.
Dann verbrannte sie sich bei der Bestrahlung die Haut.
Während dieser ganzen Zeit waren Manon und ich, glaube ich, jede auf ihre Weise so präsent, wie wir nur konnten. Ich hatte mich an Lucile angenähert, ich rief sie häufiger an und ging öfter zu ihr.
Während dieser ganzen Zeit war es mir nicht möglich, Lucile in die Arme zu nehmen, nicht ein einziges Mal, oder ihr den Arm um die Schultern zu legen oder wenigstens meine Hand auf ihre. Lucile war starr und ungreifbar; in ihren Schmerz gehüllt, hielt sie Distanz. Von den flüchtigen Begrüßungs- und Abschiedsküsschen, bei denen wir uns nicht lange aufhielten, abgesehen, lud Luciles Haltung schon seit so langer Zeit nicht mehr zu körperlichem Kontakt ein.
Ich weiß nicht mehr genau, wann wir erfuhren, dass Liane
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