Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
Prolog
D er Tod kam leise. Er schlich sich heran wie ein gespenstischer Schatten, glitt über die kalten, rissigen Wände der Höhle und tastete sich langsam an den Alten heran, der zitternd und schwer atmend in seinem eigenen Blut am Boden lag. Immer wieder schlug das flackernde Licht des wärmenden Feuers in der Mitte der Höhle die finstere Gestalt zurück, riss Löcher in sein schweres Gewand, trieb ihn mal in diese, mal in jene dunkle Ecke – doch verjagen konnte es ihn nicht.
Der Tod war gekommen, um den Alten zu holen – nur eilig hatte er es damit nicht. Der Alte hatte noch Zeit, brauchte noch Zeit. Er musste wenigstens noch für eine kleine Weile leben… musste … Und dennoch wurden seine Lider schwerer, sein Herzschlag schwächer, sein Atem flacher und unregelmäßiger. Mit jedem matten Schlag seines Herzens verließ ihn das Leben ein wenig mehr, glitt es ihm aus den so angestrengt zusammengekrümmten Fingern. Er konnte es einfach nicht festhalten. War zu schwach. Konnte nur warten. Warten und hoffen. Und hoffen, dass der Junge kam, dass er seine Not fühlte, um das anzunehmen, was seine Bestimmung war, seine Pflicht, sein Fluch oder seine Erlösung.
Es gab nur noch diese eine Chance für sie alle, diese eine Chance, doch noch das zu tun, was schon vor geraumer Zeit hätte geschehen müssen. Nie war der Moment gut genug gewesen, nie war der Alte überzeugt gewesen, dass der Junge reif genug, stark genug für das war, was auf ihn zukam. Auch jetzt noch hatte er Zweifel. Aber er hatte keine Zeit mehr… keine Zeit… Er musste den Jungen zu sich rufen, ihn irgendwie erreichen.
Er versuchte sich zu konzentrieren, versuchte alle Kräfte zu mobilisieren, an die sich sein sterbender Körper so verzweifelt geklammert hatte. Doch er konnte sich nicht regen, konnte noch nicht einmal seinen Geist nach dem Jungen rufen lassen.
Der Alte schloss erschöpft die Augen. Nein, er besaß nicht mehr die Kraft, um den Jungen herzuholen. Es war zu spät… zu spät. Und die Dunkelheit tat so gut, linderte die Schmerzen, versprach Erlösung…
Auf einmal waren da Geräusche in der Ferne, schnelle Schritte, schweres Atmen und schließlich eine Stimme, die nach ihm rief. Die Stimme des Jungen! Der Alte fühlte seine Anwesenheit, noch bevor der Junge ihn berührte, noch bevor er seine Augen öffnete. Erleichterung durchströmte seinen erschlafften Leib, als er in das entsetzte Gesicht des Jungen blickte, die starken Hände fühlte, die sich sofort auf die schwersten der Wunden, die man den Alten zugefügt hatte, pressten, während seine Lippen Worte formten, die der Alte nicht mehr verstehen konnte. Doch er fühlte, was sie bedeuteten, sah die Angst in den noch so kindlichen Gesichtszügen, die Verzweiflung in diesen so ausdrucksstarken blauen Augen. Diese Hilflosigkeit… Der Junge hatte noch so viel zu lernen, brauchte noch so viel Unterstützung… weder Kind noch Mann… und doch war er jetzt gezwungen, erwachsen zu werden, noch vor dem rechten Zeitpunkt, war gezwungen eine Aufgabe zu übernehmen, die ihm niemand mehr erklären konnte und der er vielleicht allein gar nicht gewachsen war. Aber es musste so sein… musste … denn es stand so viel auf dem Spiel.
Es kostete den Alten all seine Kraft die Hand zu heben und über die des Jungen zu legen, die so verzweifelt versuchte den zu raschen Fluss des Blutes zu stoppen. Diese Geste allein genügte, um den Blick des Jungen auf die Augen des Alten zu lenken, dort nach Antworten suchend, die er nicht mehr bekommen würde. Nicht heute… vielleicht nie mehr.
Mit der anderen Hand tastete der Alte nach dem Lederband um seinen Hals, doch er konnte nicht mehr genug Kraft aufbringen, um es aus dem Kragen seines Hemdes zu ziehen. Das Leben zerrann ihm so schnell unter seinen zitternden Fingern, dass jeder Atemzug zu einem mühevollen Akt geworden war. Der Tod hatte seinen Körper erfasst, kroch ihm bereits in die immer schwerer werdenden Glieder. Ihm blieb nur noch sehr wenig Zeit. Der Junge hatte jedoch verstanden. Vorsichtig zog er den ledernen Beutel unter dem blutgetränkten Stoff hervor. Natürlich war ihm nicht bewusst, welche Kostbarkeit er plötzlich in den Händen hielt, welche Macht. Noch wollte er nicht aufgeben, wollte er nicht verstehen, dass der Alte gehen musste. Zu deutlich stand ihm, als er den Beutel öffnete, seine Hoffnung ins Gesicht geschrieben – die Hoffnung, vielleicht ein Wundermittel darin zu finden, das den Alten doch noch retten
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