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Das laesst sich aendern

Das laesst sich aendern

Titel: Das laesst sich aendern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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achtundvierzig einfach umgefallen, Hirnschlag und aus und vorbei, der Sohn in die Stadt abgehauen, wollte den Hof sowieso nie übernehmen, die Lehre zum Karosserielackierer geschmissen; schon zu zweit hatten der Bauer und seine Frau die Arbeit am Ende hier kaum mehr geschafft, aber ohne seine Frau steht ihm inzwischen das Wasser bis zum Hals, und dann die Viecher und das ganze Durcheinander.
    Allein kriegt man das nicht geregelt, sagte Holzapfel. Wozu auch.
    Darauf wussten wir nichts zu sagen, und er fuhr fort: Landwirtschaftlicher Kleinstbetrieb. Sechseinhalb Hektar. Kann man heutzutage nicht mehr von leben, kann man verhungern dran.
    Er nahm ein grünliches Samtkissen von einem Stuhl und zeigte auf die geflochtene Sitzfläche darunter, die diagonal ein- und an einer Seite abgerissen war, die Hälfte der Sitzfläche baumelte lose nach unten. Dann sagte er, ist eigentlich ein guter Stuhl, zu schade, um auf dem Müll zu landen. Müsste nur mal gerichtet werden.
    Das wird sich machen lassen, sagte Adam.
    Inzwischen war Anatol nass bis auf die Knochen und von oben bis unten eingematscht, aber selig, und als wir uns verabschiedet hatten, wieder im Regen standen und er begriff, dass wir wirklich und tatsächlich dieses Paradies hier verlassen und ihn mitnehmen würden, ging er entschlossen und mit finsterer Miene in Sitzstreik. Adam nahm ihn hoch und setzte ihn sich mit einem Schwung auf die Schulter, wo er jaulend und strampelnd weiter protestierte. Der Bauer Holzapfel fuhr ihm mit seinem rissigen Zeigefinger über die Backe und sagte, nun weine mal nicht, mein Kleiner, kannst doch jederzeit wiederkommen.
    Gut, dass wenigstens da drüben jetzt wieder Leben einzieht, sagte er eher zu sich selbst als zu uns, und ich hörte, wie er sich darüber freute, dass zu diesem Leben ein kleiner Junge gehörte, der mit dem alten Gerümpel auf seinem Hof so glücklich zu machen war, dass er gar nicht mehr weg davon wollte. Ich dachte an meinen eigenen Vater, der längst abgehauen war, vermutlich irgendwo im Süden Golf spielte und seine Enkelkinder nicht kennenlernen würde.
    Vielen Dank, da möchte einer sehr gerne wiederkommen, sagte ich.
    Adam hielt den Sechserbohrer hoch und sagte, na dann, bis bald einmal, ich brauch ihn nur ein paar Tage.
    Der Bauer Holzapfel sah Anatol an und sagte, für dich hätt ich noch was, junger Mann, dann hob er ihn von Adams Schultern und nahm ihn an der Hand.
    Anatol mochte es überhaupt nicht, wenn ihn fremde Leute anfassten, schon im Kinderwagen hatte er angefangen zu brüllen, sobald sich jemand auf der Straße über ihn gebeugt und ihm im Gesicht herumgefummelt hatte, und ich hatte es eigentlich auch nicht gemocht, aber jetzt hörte er sofort mit seinem Protestgeschrei auf, wurde ruhig und ging zutraulich mit dem Bauern mit. Die beiden verschwanden in einem riesigen gemauerten Stall, und als sie wieder herauskamen, hatte Anatol eine Porzellanschüssel in der Hand.
    Hat er selbst gefunden, sagte der Bauer.
    Die Schüssel hatte einen Sprung.
    Wo hast du die denn her, sagte Adam, als er die Eier sah, die Anatol selbst gefunden hatte.
    Bisher hatte ich gedacht, dass Eier alle gleich aussehen, die weißen eben weiß und die braunen braun. Diese hier waren grün bis dunkelgrün und in Größe und Gewicht keines wie das andere.
    Wir würden noch eine Menge lernen.
     
    Das Sonderbare an Zeitgeschichte ist, dass diejenigen, die drinstecken, meistens nicht erfassen, was geschieht, ganz besonders nicht bei einem Zeitgeschehen, das in der Tagesschau von jemandem verkündet worden war, der offensichtlich selbst überhaupt nicht begriff, was er sagte, und deshalb nur ein dusseliges Gesicht machen und vor sich hinstammelnd ablesen konnte, was er auf seinen unleserlichen Spickzettel gekritzelt hatte. Im Nachhinein ist es geradezu lächerlich und läppisch, und das ganze Tamtam und pathetische Drum und Dran, mit dem dann die neue Weltgeschichte anfing, ändert nichts daran, dass sie versehentlich eines Abends von einem Mann eingeläutet und verkündet wurde, der am Nachmittag eine entscheidende Sitzung verpasst hatte und vor den Kameras seinen Satz nicht mal halbwegs zusammenbekam; und danach fingen die Neunzigerjahre erst einmal damit an, dass gründlich die Bösen aus dem bankrotten Land ausfindig gemacht und an den Pranger gebracht werden mussten, und in dem neuen Land war von eben auf jetzt niemand mehr irgendwie links. Ich habe nie richtig verstanden, wie schnell das gegangen ist, praktisch über Nacht, aber

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