Das laesst sich aendern
kam von ganz tief aus dem Kind heraus, irgendwo aus einer Gegend, wo eigentlich keine Stimme sitzt und herkommen kann.
Ich hatte schon die sonderbarsten Töne gehört, sogar Urschreie nach Janov hatte ich Anfang der Achtzigerjahre gehört, aber so einen Schrei noch niemals.
Ich wartete einen Moment, bis der Schrei verhallt war.
Taubstumm ist er jedenfalls nicht, sagte ich dann.
Manuel sah mich an. Er wartete auf meine Entscheidung, und ich sagte, sieht so aus, als hätte ich keine Wahl.
Nachdem Fritzi und ich schon einigermaßen in Ilmenstett Fuß gefasst hatten, rief mich eines Tages Frau Fuchs an. Sie war Mitte fünfzig, Deutsch- und Englischlehrerin an der Realschule, hatte gerade eben eine achte Klasse übernommen und fragte, ob ich mir einen ihrer Schüler ansehen könne, der eine Schreibschwäche hätte. Ich sagte, dass ich nur für Sprechen, Stimme und Schlucken, aber nicht fürs Schreiben eine Zulassung hätte.
Am anderen Ende der Leitung lachte Frau Fuchs etwas gequält und sagte, wissen Sie, eigentlich habe ich auch nur für die Schule eine Zulassung und nicht für das Irrenhaus, in das ich hier jeden Tag gehe.
Als ich mit Adam später über die Zulassung sprach, sah er mich an, als käme ich von einem fernen Stern.
Zulassung, sagte er verächtlich. Was brauchst du eine Zulassung. Du bist doch du.
Also übernahm ich den Legastheniker.
Seinen Eltern gehörte das Gartencenter Wegener in dem neuen Gewerbegebiet zwischen Ilmenstett und Guntersbach.
Frau Wegener war eine resolute Frau.
Augen und Ohren ohne Befund, sagte sie statt einer förmlichen Begrüßung, dann rief sie Stephan und sagte, ich kann mich doch nicht um alles kümmern. Für die Zeit des Unterrichts überließ sie mir das Büro und beobachtete durch die Glaswände genau, was sich darin abspielte.
Stephan motzte in der ersten Stunde herum und machte mir klar, dass er keinen Bock auf meine Übungen hatte.
Von draußen sah Frau Wegener, wie ihr Sohn sich über den Tisch fläzte. Sie war misstrauisch.
Ich sagte, das findest du cool.
Ist doch eh alles egal, sagte Stephan. Es klang nicht cool.
So, sagte ich, na dann.
Stephan hatte etwas anderes erwartet. Ist doch eh egal, ich bin einfach zu blöd, sagte er.
Ich dachte daran, dass Nicos Schreiattacken abgeklungen waren, nachdem er und seine Familie das Fingeralphabet gelernt hatten und Nico langsam den Mut fand, Laute von sich zu geben, mit denen er sich verständlich zu machen versuchte, und jetzt war es gut, dass ich keine Zulassung fürs Schreiben hatte, sonst wäre ich vermutlich niemals auf die Idee mit dem Fingeralphabet gekommen; aber tatsächlich hatte Stephan inzwischen einen solchen Horror vor dem Schreiben, dass er sich völlig verkrampfte und kaum mehr den Stift halten konnte, und so dachte ich einfach, wir könnten es mit dem Fingeralphabet probieren, und nach ein paar Wochen fing es wunderbarerweise an zu funktionieren, vom Buchstaben über die Hand aufs Papier.
Nach jeder Stunde legte Frau Wegener mir einen Briefumschlag mit dem Honorar auf den Tisch ihres gläsernen Büros, der Briefumschlag war ihr peinlich, deshalb packte sie jedes Mal etwas aus ihrem Gewächshaus darauf, mal sechs kleine Töpfchen mit Salat oder Tomaten oder sonst was, mal einen Container mit Rittersporn oder Akeleien. Ich bedankte mich und wusste nicht, was ich damit machen sollte, weil mir noch jede Pflanze, mit der ich es je versucht hatte, umgehend eingegangen war, aber das mochte ich Frau Wegener nicht sagen, also schenkte ich die Pflanzen jedes Mal anschließend dem Bauern Holzapfel, der sie brummig entgegennahm und sagte, was soll ich mit dem Grünzeug, wo ich den Hof doch demnächst verkaufe.
Irgendwann schrieb Stephan eine Drei, von der Frau Wegener offenbar allen berichtete, die im Gartencenter ihre Primeln und Geranien kauften, und Zulassung hin, Zulassung her, für Frau Wegener, Frau Fuchs und die Legastheniker in Ilmenstett wurde ich danach eine Anlaufstelle.
Nachdem Stephan seine mittlere Reife bestanden hatte, schenkte er mir eine Kette mit einer kleinen silbernen Rasierklinge als Anhänger. Später kamen er und sein kleiner Bruder Kevin zu uns auf die Streuobstwiese ins Basislager.
Adam baute alles überschüssige Geld in Fritzis Haus ein, und wenn gerade nichts Überschüssiges da war, schaute er erst gelegentlich, dann immer öfter mit den Kindern beim Bauern Holzapfel vorbei, reparierte den Stuhl mit dem grünlichen Kissen und der herunterhängenden halben Sitzfläche,
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