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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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dann nach dem spanischen Reglement mit ihm kämpfen? Geht! Geht nur! Beginne deine neue Herrschaft mit einer Corrida à la Uruk! Zeig uns, was du drauf hast, Freund! Ich werde zeichnen, während du am Werk bist.«
    Gilgamesch nickte. Leise sagte er zu Herodes:
    »Schafft den toten König von hier fort, ja? Und laßt den Erzkanzler und auch die anderen Höheren Hofchargen festnehmen!« Und mit einer auffordernden Handbewegung zu Enkidu sprang er wieder in die Stierkampfarena hinab. Er rief den Aguaciles auf der anderen Seite der Arena Befehle zu, und das Tor wurde geöffnet und heraus stürmte ein zweiter Höllenstier. Und gelassen erwartete ihn der neue König von Uruk. Und Enkidu stand an seiner Seite.

17
    A LLES IN ALLEM erledigten sie fünf Stiere an diesem Tag. Und jeder Kampf begann in Schweigen, die Zuschauer waren unsicher und beklommen und über den neuen seltsamen Sport wohl ebenso erstaunt, so schien es, wie über den gleichzeitigen Machtwechsel, der sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Doch sobald die Banderilleros und Picadores sich an ihr Werk begaben und der gereizte Stier schnaubte und bockte und mit den Hufen scharrte, wuchsen die Erregung und der Lärm gewaltig an, und als die beiden starken Helden zum fünftenmal in die Arena schritten, um die Corrida zum triumphalen Ende zu führen, bebte das Stadion von anhaltendem gewaltigen Gebrüll, von einem wilden Durcheinander von Rufen und Schreien, und es verebbte nicht, bis der letzte Stoß getan war und das groteske Stierungeheuer im Sand der staubigen Arena zusammenbrach.
    Picasso zeichnete wie besessen, forderte Gilgamesch durch Gesten immer wieder zu einem neuen Kampf auf und konnte nicht genug kriegen. Und Ninsun, die nun majestätisch in der verwaisten Königsloge thronte, sah mit lächelndem Stolz zu und nickte jedesmal befriedigt, wenn ihr Sohn ein Tier mit dem Schwert tötete.
    Nach dem dritten Stier begannen Herodes und Simon Magus unbehaglich dreinzublicken, als fänden sie es unpassend, daß ein König zum Spaß vor seinen Untertanen fremdartige Geschöpfe abschlachtete, oder – wahrscheinlicher – weil sie fürchteten, Gilgamesch könnte sein Leben verlieren, falls er es weiter so in der Arena aufs Spiel setzte, und dann würde die Stadt in ein Chaos versinken, bevor sie selbst sich in Sicherheit bringen konnten. Aber Gilgamesch tat ihre besorgten Gesten ab, und als Herodes ihm einen gefalteten Zettel überbringen ließ, warf er ihn ungelesen weg. Es war eine lustige Arbeit, dieser Kampf mit den Stieren, es kam dem noch am nächsten, was er unter hoher Lust verstand und was er seit mehr Ewigkeiten, als er sich erinnern konnte, nicht mehr erlebt hatte, und er beabsichtigte, dieses Gefühl ganz auszukosten. Sobald er die Arena verlassen würde, war es zu Ende mit der Freude, und die Verantwortung begann, und damit hatte er es gar nicht eilig. Er raffte sich zusammen und verlangte nach dem nächsten Stier.
    Doch schließlich waren die Ställe leer, und den Himmel bedeckten die dunklen violetten und roten Streifen der aufziehenden Nacht. Der wundervolle Kampftag war vorbei. Seite an Seite standen Gilgamesch und Enkidu in der blutbeschmierten Arena, schwitzend, selbst ein wenig blutbedeckt, doch unverletzt.
    »Komm, Bruder«, sagte Enkidu. »Auf in den Palast.«
    »Ja, auf in den Palast«, sagte Gilgamesch.
    Nachher, als sie durch die Menschenmasse schritten, schien es ihm, als wären Enkidu und er inmitten der Menge wie eingeschlossen in eine undurchdringliche Kugel aus Stille. Die Soldaten der königlichen Garde, die noch am Morgen die Person König Dumuzis beschützt hatten, zogen vor und hinter ihnen her, schwangen reichgeschmückte Amtsknüppel, doch schien eine derartige Machtdemonstration kaum nötig. Das Volk von Uruk hielt sich scheu und mit ängstlich geweiteten Augen zurück, während sein neuer Herrscher daherkam, und erst als er vorbeigeschritten war, erhoben sich hinter ihnen die Jubelrufe nach »Gilgamesch!« und hie und da »Enkidu!«.
    In Dumuzis altem weiten und düsteren Palast hielt Gilgamesch an diesem Abend seine erste Audienz; er saß auf dem pompösen hohen Thron Dumuzis und hatte das wuchtige kostbar gearbeitete goldene Szepter Uruks achtlos auf dem Schoß liegen. Zu seiner Linken stand Enkidu, Ninsun stand rechts, Herodes und Simon Magus im Schatten an der Wand, neben ihnen Vy-otin in seinem drolligen Geschäftsanzug vom Schnitt der Später Toten, als die Minister und Beamten des verstorbenen Königs einzeln

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