Das Land der lebenden Toten
nur die Einsamkeit suchen – die sogar in dieser Gegend schwerer zu finden ist, als wir erwarteten. Wir sind keine Späher, und wir haben nichts Hinterhältiges im Sinn. Wenn es euch gefällt, schließen wir uns euch an und leisten euch jede Art von Hilfe, die ihr braucht, bis wir aus dieser Schlucht herauskommen, gegen Essen und eine Decke für die Nacht. Wenn nicht, nun, dann werden wir weiterziehen und uns allein durchschlagen.«
Van der Heyden überdachte das Angebot eine Weile.
»Könnt ihr kämpfen?« fragte er schließlich.
»Was glaubst du denn?« Enkidu grinste aus seiner großen Höhe zu ihm hinab.
»Damit? Mit Schwertern? Mit Pfeil und Bogen?«
»Wir kommen recht gut damit zurecht«, sagte Gilgamesch. »Aber wir sind auch mit euren Waffen vertraut. Aber wenn ihr keine Verwendung für uns habt…«
»Halt!« sagte van der Heyden. »Kommt mit uns. Ich denke, wir können zwei Burschen von eurem Kaliber brauchen.«
»In diesem Fall«, sagte Gilgamesch, »sollst du wissen, daß es bereits etliche Tage her ist, seit wir zuletzt etwas gegessen haben.«
»Das habe ich mir doch fast gedacht«, sagte van der Heyden.
Die Karawane kam aus der Stadt Lo-yang im Outback und brachte Waren zum Verkauf in Brasil, wo Simon der Magier herrschte. Van der Heyden vermied es sorgfältig, Genaueres über die Art seiner Waren zu sagen, und man bekam auch sonst keinerlei Hinweise darauf. Aus der Wortkargheit des Dicken und der Ängstlichkeit, mit der die Kauffahrer die beiden Sumerer empfangen hatten, war zu schließen, daß es sich um eine kostbare Fracht handeln müsse und daß man fürchtete, in dieser Region von Briganten überfallen zu werden. Doch Gilgamesch stellte keine Fragen. Er wollte nur mit van der Heyden bis zum Ausgang aus der Schlucht ziehen und sich dann dort von der Karawane trennen und entweder gen Norden oder südwärts ziehen, er wußte noch nicht recht, wohin, in der Hoffnung, dort eine Route zurück in unbesiedelte Landstriche zu finden.
Der Zug kam nur langsam voran. Die Schlucht war kaum weit genug, die Wagen durchzulassen, und an einigen Stellen sah es so aus, als würden sie steckenbleiben; doch van der Heyden verfügte über einen Trick, indem er die Wagen zunächst auf die linken, dann auf die rechten Räder kanten ließ, und irgendwie gelang es ihm, die Fuhrwerke um die Felsvorsprünge herumzumanövrieren, die an den engsten Stellen den Pfad blockierten. Dann wurde die Schlucht allmählich weiter; der Wind war nun weicher und feuchter, ein sicheres Anzeichen dafür, daß sie sich der Küste näherten. Die Wände der Schlucht öffneten sich und ragten nicht mehr steil und senkrecht empor, und sie zeigten auch einigen Pflanzenbewuchs. Und es gab wieder Wild, das man jagen konnte. Die Karawane führte zwar genug eigenen Proviant mit, doch van der Heyden schien geplant zu haben, die Versorgung durch unterwegs erlegte Beutetiere zu ergänzen, und so verdienten sich die beiden Sumerer den Transport, indem sie oben in den Hängen Fleisch jagten.
In der Regel jagten Gilgamesch und Enkidu gemeinsam. Doch einmal zog Gilgamesch allein aus, und dies stellte sich als ein schwerer Fehler heraus.
Der Leitwagen hatte an dem Tag eines seiner Räder verloren. Er krängte stark über, lag fast auf der Seite, und die radlose Achse hatte eine tiefe Furche in den roten staubigen Boden gegraben. Van der Heyden trommelte sich grimmig in die Flanken, dann wandte er sich den kräftigen sumerischen Helden zu und rief: »He! Ihr zwei, kommt doch mal und helft uns!«
»Wir gehen auf die Jagd«, sagte Gilgamesch. »Die Hänge da oben wimmeln von Wild.«
»Also, dann soll einer von euch auf Jagd gehen, und der andere soll uns hier helfen. Wir müssen den verdammten Wagen da wieder aufstellen, kapiert ihr?«
Gilgamesch zögerte. Ärger wallte in ihm hoch. Lastwagen aus dem Graben zu hieven, das war keine Arbeit für einen ehemaligen König; außerdem wartete auf ihn eine gute Jagd. Und er hätte van der Heyden hitzig abfahren lassen, doch Enkidu, der fühlte, was da gleich geschehen würde, legte ihm rasch die Hand auf den Arm und sagte zu dem Kerl: »Ich will euch bei eurem Wagen helfen. Und mein Bruder Gilgamesch wird sich auf die Spur des Wildes machen.«
»Enkidu…«
»Es ist schon recht, Bruder. Ich bringe ihren Wagen in Ordnung, und wenn ich damit fertig bin und es ist genug Licht, folge ich deiner Spur und komme dir nach in die Berge. Und nun geh schon, solange du noch Beute
Weitere Kostenlose Bücher