Das Land der Pelze
Erscheint es Ihnen nicht so, als stünden wir vor der Oeffnung eines ungeheuren Kaleidoskops? Vielleicht sind Sie aber für dieses mir so neue Schauspiel schon unempfänglicher geworden?
– Gewiß nicht, Mistreß, erwiderte der Lieutenant. Ich bin zwar in diesem Lande geboren, welches meine ganze Kindheit und Jugend sah, aber ich werde niemals satt, seine Schönheiten zu betrachten. Ist aber Ihr Enthusiasmus schon so groß, wenn die Sonne ihr Licht über diese Gegenden gießt, das will sagen, wenn das Tagesgestirn den Anblick des Landes schon verändert hat, wie groß wird er sein, wenn Sie diese Gebiete mitten in der strengsten Winterkälte werden betrachten können? – Ich muß Ihnen gestehen, Mistreß, daß die Sonne, welche für gemäßigte Zonen so unbezahlbar ist, mir die Freude an meinem arktischen Vaterlande etwas verleidet.
– Wirklich, Herr Hobson? antwortete die Reisende, welche über diese Bemerkung des Lieutenants lächelte. Meines Erachtens nach ist die Sonne doch ein trefflicher Reisebegleiter, und hat man sich über die Wärme, welche sie ausstrahlt, selbst in den Polargegenden doch nicht zu beklagen.
– Ah, Madame, entgegnete Jasper Hobson, ich gehöre zu denen, welche Rußland mit Vorliebe im Winter und die Sahara im Sommer besuchen. Dann erst sieht man diese Länder in ihrem charakteristischen Gewande. Nein! Die Sonne ist ein Gestirn für die gemäßigten und heißen Zonen. Dreißig Grade vom Pole ist sie nicht an ihrem Platze. Der Himmel dieser Erdengegend ist der reine, kalte Winterhimmel, der mit Sternen besäet und manchmal durch ein Nordlicht erhellt ist. Hier ist das Reich der Nacht, Madame, nicht das des Tages, und diese lange Polarnacht birgt auch noch Freuden und Wunder in ihrem Schooße.
– Haben Sie, Herr Hobson, die gemäßigten Zonen Europas und Amerikas besucht? fragte da die Dame.
– Ja, Mistreß, und habe sie nach Verdienst bewundert. Aber stets bin ich mit brennender Begierde und neuem Enthusiasmus nach dem Lande meiner Geburt zurückgekehrt. Ich bin einmal der Mann der Kälte, und rechne mir das, daß ich sie ertrage, nicht zum Verdienst an. Sie hat durchaus keine Gewalt über mich, und ich könnte wie die Eskimos, ganze Monate in einer Schneehütte zubringen.
– Herr Hobson, antwortete die Reisende, Sie haben eine Art und Weise von diesem furchtbaren Feinde zu reden, welche Einem ordentlich das Herz erwärmt. Ich hoffe mich Ihrer würdig zu zeigen, und so weit Sie nach dem Pole hinauf der Kälte zu trotzen wagen, werden wir es auch zusammen thun.
– Schön, Madame, sehr schön; möchten nur Alle, die mir folgen, Soldaten wie Frauen, sich ebenso entschlossen zeigen, wie Sie! Mit Gottes Hilfe werden wir noch weit gehen.
– Ueber den Anfang der Reise haben Sie sich eben nicht zu beklagen. Bis jetzt gab es keinen Unfall, aber günstiges Wetter und erträgliche Temperatur, so daß Alles nach Wunsch ging.
– Gewiß, Madame, entgegnete der Lieutenant; aber gerade die von Ihnen so bewunderte Sonne wird bald Strapazen und Hindernisse unter unserem Fuße hervorrufen.
– Und inwiefern, Herr Hobson? fragte begierig Mrs. Paulina Barnett.
– Insofern, als die Sonne binnen Kurzem das Aussehen dieses Landes verändert haben wird; als das schmelzende Eis dann den Schlitten keine geeignete Oberfläche mehr bietet; als der Erdboden holperig und hart werden wird, und die keuchenden Hunde uns nicht mehr mit Pfeilgeschwindigkeit werden befördern können. Dann gehen Flüsse und Seen wieder in flüssigen Zustand über, und wir werden sie umfahren oder durchwaten müssen. Alle diese dem Einflusse der Sonne zuzuschreibenden Veränderungen werden sich in Verzögerungen, Mühen und Gefahren übersetzen, von denen der lockere Schnee, welcher unter den Füßen weicht, und die Lawinen, welche von den Eisbergen hernieder donnern, nur die kleinsten sind. Sehen Sie, das wird uns die Sonne nützen, wenn sie sich mehr und mehr über den Horizont erhebt. Erinnern Sie sich später meiner Worte, Mistreß! Von den vier Elementen des Alterthums ist uns hier ein einziges, die Luft, nützlich, nothwendig, ja unentbehrlich; die drei anderen aber, Erde, Feuer und Wasser, brauchten für uns gar nicht vorhanden zu sein. Sie entsprechen der Natur der Polargegenden nicht!«
Offenbar übertrieb der Lieutenant. Mrs. Paulina Barnett hätte ihn leicht mit seinen eigenen Beweismitteln schlagen können, aber es machte ihr Vergnügen, Jasper Hobson mit solcher Wärme der Ueberzeugung sprechen zu hören.
Weitere Kostenlose Bücher