Das Landmädchen und der Lord
Onkel, der sie maßregelte … „Danke für Ihre Fürsorge, Sir“, erwiderte sie kühl. „Aber in der Obhut meiner Mutter und Miss Roystons droht mir keine Gefahr.“
„Solange Sie im Blickfeld der beiden Damen bleiben.“ Zögernd fügte Harry hinzu: „Verzeihen Sie mir, falls Sie glauben, ich würde Ihnen Lektionen erteilen. Das steht mir nicht zu. Aber meiner Nichte würde ich den Umgang mit solchen Gentlemen verbieten.“
„Ich bin nicht Ihre Nichte, Sir.“
„Natürlich nicht. Nun habe ich Sie geärgert. Dieses Thema hätte ich nicht anschneiden dürfen, wenn es auch in bester Absicht geschah, und ich bitte Sie um Entschuldigung.“ Nach einer knappen Verbeugung ging er davon.
Susannah starrte seinen breiten, kerzengeraden Rücken an. Offensichtlich war er beleidigt, obwohl sie viel eher einen Grund hatte, sich gekränkt zu fühlen. Er hatte ihr Vorschriften gemacht, als wäre er alt genug, um ihr Vater zu sein. Dabei schätzte sie ihn auf etwa dreißig. Was für ein arroganter Gentleman … So jemanden würde sie niemals heiraten. Sie schaute sich nach dem Mann um, der sie auf diesem Ball am tiefsten beeindruckt hatte, und Northaven erwiderte ihren Blick. Sekundenlang beschleunigten seine leuchtend blauen Augen ihren Puls, bevor er seinem Gesprächspartner aus dem Saal folgte.
„Zufällig hörte ich, was Lord Pendleton zu dir sagte“, erklang Amelias Stimme an ihrer Seite, und Susannah wandte sich zu ihr. „Wenn er auch kein Recht hat, eine solche Kritik zu äußern, ich stimme ihm zu. Northaven steht im Ruf eines Lebemanns. Und es kursieren noch schlimmere Gerüchte. Also nimmt dich vor ihm in Acht – zumindest bis du etwas mehr über ihn weißt.“
„Oh – natürlich werde ich vorsichtig sein.“
Aber als Susannah in dieser Nacht zu Bett ging, beherrschte der attraktive Marquess immer noch ihre Gedanken. Umso erstaunlicher, dass sie nicht von ihm träumte, sondern von Lord Pendleton, der wie ein Schulmeister einen Rohrstock schwang und verkündete, er würde sie bestrafen, wenn sie sich schlecht benahm …
Einfach lächerlich! Am nächsten Morgen verdrängte Susannah die Erinnerung an den albernen Traum. Durch das Fenster strömte heller Sonnenschein in ihr Zimmer. Voller Vorfreude auf den neuen Tag stieg aus dem Bett. Das Leben war so amüsant, und sie wollte sich nicht über den anmaßenden Lord Pendleton ärgern. Mochte er auch reich und angesehen sein, er entsprach wohl kaum ihrer Vision von einem Ritter auf einem weißen Pferd.
An diesem Tag wollte sie einen Hut kaufen, den sie in einer Auslage gesehen hatte. Schöne Kleider und Hüte, Partys und Bälle – das alles war viel wichtiger als die Missbilligung eines hochnäsigen Gentleman.
Während Harry sich an diesem Abend auszog, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Zunächst dachte er, seine Fantasie würde ihm einen Streich spielen. Doch dann stand es zweifelsfrei fest, Miss Susannah Hampton musste das Mädchen sein, das auf der Landstraße beinahe unter die Hufe seiner Pferde geraten wäre. Ein lautstarker Fluch erschreckte seinen Kammerdiener.
„Stimmt etwas nicht, Mylord?“
„Nein. Es ist alles in Ordnung, Philips. Ich bin nur ein verdammter Narr.“
„Sicher nicht, Mylord“, erwiderte er lächelnd und fuhr fort, den Gehrock auszubürsten, den sein Herr getragen hatte. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Nein, lassen Sie alles liegen, und gehen Sie schlafen.“
„Gute Nacht, Mylord.“
Der Mann verließ das Zimmer, und Harry setzte sich auf das Bett. Nachdenklich nippte er an dem Brandy, den Philips bereitgestellt hatte. Auf dem Ball hatte Miss Hampton ganz anders ausgesehen als die Landpomeranze in dem schlichten Kleid mit dem zerzausten Haar. Aber die bemerkenswerten meergrünen Augen waren unverkennbar gewesen.
Schon bei der ersten Begegnung hat sie mich sehr unhöflich gefunden, erinnerte er sich. Und auf dem Ball war dieser Eindruck bestätigt worden. Warum er sie gemaßregelt hatte, wusste er nicht. Dazu war er nicht berechtigt gewesen. Doch irgendetwas hatte ihn bewogen, Miss Hampton vor Northavens Charakter zu warnen.
„Was für ein zauberhafter Hut“, meinte Amelia, als Susannah eine Kreation aus weißer Seide mit blauen Bändern und Schleifen aufsetzte. „Der würde zu deiner neuen blauen Pelisse passen. Warum kaufst du ihn nicht?“
„Weil ich schon drei Hüte ausgesucht habe. Brauche ich denn noch einen?“
„Zum Glück müssen wir nicht überlegen, was wir brauchen, sondern was uns gefällt.“
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