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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Zuckerrohr aufVirgo geschält sei, werde sie ihren Lohn erhalten, habe der Massa ihr gesagt. Nun hatte Fanny schon zu oft gehört, wie die Neger sich darüber beschwerten, dass sie eine Woche lang Zuckerrohr geschält, aber nur einen Tageslohn dafür bekommen hätten. Welcher Neger auf den Plantagen Friendship, Unity, Montpelier und Windsor Hall oder auf anderen Pflanzungen der Insel war dazu bereit, sich erst nach geleisteter Arbeit bezahlen zu lassen? Keiner! Denn das wäre ja so, als würde man einen Hund erst dann füttern, wenn er sich in den eigenen Schwanz gebissen hat. Das sagte sie dem Massa auch. Und Anne und Elizabeth, Betsy und Nanny sagten es ebenfalls. Bald antwortete jeder auf Amity, dem der Massa bei der Zuckerrohrernte mitzuhelfen befahl: »Nein!« Nein! Sie würden wie früher für einen Lohn arbeiten, den sie am Ende des Tages bekämen, und nur dafür.
    »Dann erwarte ich, dass alle Neger sechs Tage die Woche arbeiten. Wenn jeder sechs Tage arbeitet, kann das Zuckerrohr auf den Feldern geerntet und von Blättern befreit werden, der Sud kann aufbereitet werden und abkühlen, um in die Fässer abgefüllt zu werden«, lautete Massa Goodwins Vorschlag.

    Sechs Tage die Woche! James Richards wurde zum Massa entsandt, um im Namen aller vorzusprechen.
    »Ich sag Euch was, Massa«, begann James und fasste den Massa fest ins Auge, »wir arbeiten vier Tage für Euch, und wir arbeiten schwer.«
    »Vier Tage? Vier Tage die Woche reicht nicht.Wenn nur vier Tage gearbeitet wird, verdirbt ein Großteil des Zuckerrohrs. Es müssen sechs sein.«
    Bei dieser Wendung des Gesprächs sah James in den Augen des Massas Zornesfunken flackern. »Verstehst du nicht, dass es sechs sein müssen?«, fuhr der Massa fort. »Wie immer, wenn das Zuckerrohr geerntet werden musste.«
    James, der Angst hatte, Massa Goodwin weiter zu verärgern, wandte den Blick von seinem Gesicht.
    »Das weißt du doch, mein Junge«, sagte der Massa, »bist immer ein guter Neger gewesen. Bei der letzten Ernte, als ich noch euer Aufseher war, musstet ihr auch sechs Tage arbeiten. Bei dieser müssen es auch sechs sein. Sonntags hättet ihr immer noch einen Ruhetag für die Kirche oder für den Markt. Aber ihr müsst sechs Tage arbeiten. Geh und sag’s den anderen, mein Junge – ihr alle müsst sechs Tage arbeiten.«
    James wollte nicht, dass der Ärger, der in ihm aufstieg, überhandnahm, weil der Massa so mit ihm redete – mit ihm, einem gelernten Zimmermann und einem Freien! –, als wäre er ein Sklave, den man herumkommandieren könne, und er lenkte sich ab, indem er die Tabakasche aus seiner Pfeife auf einen Stein klopfte.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, schrie der Massa ihn plötzlich an.
    »Ja, Massa, ich hör Euch zu«, erwiderte James leise, »aber ich hab gesagt, vier Tage. Bei dieser Ernte sind’s vier Tage, die wir arbeiten.«
    »Sechs, verdammt noch mal, sechs! Hast du mich verstanden? Jeder von euch wird sechs Tage arbeiten!«

    Da beschloss James, ihm eine scharfe Antwort zu erteilen, denn war er nicht frei und konnte genauso verärgert sein wie ein weißer Bakkra? »Wir sind keine Sklaven nich’ mehr, und wir arbeiten, wie’s uns passt«, sagte er. »Wir arbeiten, wie’s uns passt.«
    Als der Massa diese gesegneten Worte hörte, die so lange hatten auf sich warten lassen, brummte er, hustete und prustete und lief wie ein Ochse, der ein Mühlrad dreht, immerzu im Kreis herum. Eine volle Stunde lang, behauptete James Richards, sei der Massa in dieser sorgenvollen Verfassung auf und ab gelaufen. Bis Massa Goodwin vor ihm stehen blieb, einen so tiefen Seufzer ausstieß, dass die Bäume sich bogen, und sagte: »Dann sag mir, wie irgendeiner von euch seinen Mietverpflichtungen nachkommen oder Nahrungsmittel kaufen will, wenn er nur vier Tage die Woche für mich arbeitet?«
    Nun verfügte James über fast drei Morgen Versorgungsland, das von Kochbananen, Kokosnüssen,Yams und Mais nur so strotzte. In einer kleinen Ecke hatte er Straucherbsen und Süßkartoffeln angepflanzt. Zwei Stück Hornvieh grasten auf seinem Land, und erst kürzlich hatte er seinen jungen Ochsen für den Marktpreis von achtzehn Pfund an den Aufseher von Somerset Pen verkauft.
    Elizabeth Millar hatte fünf Morgen mit Pampelmusen, Kolokasien, Paprika und Kalebassen bebaut. Mary Ellis verdiente sich mit ihrem halben Morgen Tabakpflanzen viel Geld. Während Fanny und Anne Roberts erst letzte Woche das Fleisch einer ihrer Färsen an Molly in der Küche des

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