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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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ihrer Pose ermüdete, neigte sich das Tablett, und das Konfekt glitt herab und verteilte sich auf dem Boden. Nachdem alles zum fünften Mal verschüttet worden war, schrie der Künstler plötzlich: »Jetzt reicht’s!« Daraufhin ließ er July mit einem leeren Tablett posieren und komponierte in seinem Atelier ein Stillleben mit Zuckerwerk, das er später in Muße abmalen konnte. Diese Lösung des Problems diente dem Künstler später als Entschuldigung, denn nach Vollendung des Gemäldes erhob sich ein weiterer Streit.

    So zufrieden war Caroline Goodwin mit dem fertigen Bild, dass sie es nicht nur anstelle von Agnes’ Porträt in den Salon hängte, sondern dem Künstler zwei Flaschen vom feinsten Rum zukommen ließ, den es auf Amity gab. Dann lud sie alle ihre Nachbarn in der Gemeinde ein, sich das Bild anzusehen. Ihre Absicht war, sich im Neid der anderen zu sonnen.
    Doch nachdem jeder, der das Gemälde betrachtete, zunächst kommentiert hatte, Caroline sehe so merkwürdig traurig aus, lautete die nächste Bemerkung, ihr Mann Robert hefte seinen Blick offenbar fest auf die Niggerin. Obwohl Caroline beteuerte: »Nein, nein, sein Blick ruht auf dem Zuckerwerk« (und in dem eifrigen Bemühen, ihr zuzustimmen, neigten die Betrachter vor dem Bild die Köpfe, erst nach links, dann nach rechts), musste doch zuletzt jedermann feststellen: »Nein, nein, er starrt die Niggerin an.«
    In der Tat hatte Robert Goodwin während der Ausführung des Porträts die ganze Zeit July angestarrt. Denn July trug sein Kind, und er hatte nicht den Wunsch, irgendwo anders hinzublicken. Tatsächlich schenkte ihm July wenige Monate nach Fertigstellung des Porträts eine Tochter. Ein hellhäutiges, grauäugiges Mädchen, das den Namen Emily bekam.
    So wütend war Caroline, dass der Künstler die Tollheit ihres Mannes eingefangen hatte, dass sie darauf bestand, dass er das Porträt wieder in sein Atelier zurückbringe, um den Fehler zu beheben. Obwohl Francis Bear mehrere Wochen damit zugange war, das Bild zu retuschieren, vermochten es all seine Farbtupfer nicht, Roberts Blick von unserer July abzuwenden. Da richtete sich Carolines ganzer Zorn über die Situation auf Francis Bear. Sie war außer sich vor Wut —schließlich war er es, der die Szene so geschickt eingefangen hatte, dass ihre Freunde es deutlich sehen konnten. Caroline war genötigt, das Bild in einem Zimmer aufzuhängen, das nur selten benutzt wurde. Und verlangte von dem Künstler, dass er ihr den Rum zurückgab, den sie ihm zum Geschenk gemacht hatte!

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Geneigter Leser, nach all dem Trara und Tamtam, das mein Sohn Thomas wegen Julys erstem Kind gemacht hat, glaubte ich schon, seine Vorwürfe bald wieder von Neuem ertragen zu müssen. Wenn er meiner Geschichte erst einmal entnommen hätte, dass July einem weiteren Kind das Leben geschenkt hatte, würde die pulsierende Ader am Kopf meines Sohnes erneut hämmern und pochen. Und mit einem Gesicht, das nicht gezeichnet wäre von der Wut, die er empfand, würde er seine Mama fragen: »Wird dieses Baby auch bald auf einem Stein vor dem Haus eines Predigers ausgesetzt werden wie das hässliche schwarze Wurm, das July geboren hat? Oder hat July sich dazu herabgelassen, das Kind Emily zu lieben, weil es eine Farbige ist, eine Terzerone mit heller Haut und einem weißen Mann zum Vater?«
    Aber eine alte, alte Frau sollte von ihrem eigenen Sohn nicht ausgeschimpft werden! Deshalb habe ich mich, während er sich die betreffenden Seiten durchlas, mehrere Stunden lang in der Hütte in unserem Garten vor ihm versteckt. Kurz danach kam Miss May, die Tochter meines Sohnes, zu mir. Sie amüsierte sich darüber, ihre alte Großmama in dem kleinen Holzschuppen sitzen zu sehen, so klein auf dem winzigen Stuhl zwischen all den zerbrochenen und vergessenen Gerätschaften. Um uns die Zeit zu vertreiben, spielten wir Schwarzer Peter, und ich habe sie in jeder Runde geschlagen. Oh, wie sie da gejammert hat! Ich solle sie gewinnen lassen, sagt sie zu mir. Warum?, frage ich sie. Weil sie jung sei – das war ihr einziges Argument. Dann hätte sie ja noch Zeit genug, um zu lernen, wie man mich schlägt, lautete meine Antwort.

    Doch weil ich so lange gebeugt in dieser elenden Hütte saß, taten mir meine Knie weh – bald war ich gezwungen, zum Haus zurückzuhumpeln. Und dort begrüßte mich mein Sohn, ohne dass er meine Abwesenheit bemerkt hätte. Als er mir die Seiten zurückgab, sagte er in nachdenklichem Ton: »Da ist

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