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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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jemand diese Frage gestellt hätte, und er hatte keine Ahnung, wie er darauf antworten sollte.
    Aber der Massa fuhr fort: »Ezra, hör mir gut zu.« Dabei beugte er sich dicht zu ihm, als wolle er ihm ein Geheimnis anvertrauen. »Warum lässt du deine Versorgungsfelder nicht brachliegen und arbeitest nur noch für mich? Ich werde dir einen guten Lohn zahlen, besser als jeder andere in der Gemeinde. Genug für deine Miete, dein Essen und schöne Kleider für die Frau, die du dir nehmen möchtest. Es soll dir an nichts fehlen. Und denk nur, mit all dem Geld, das du bekommst, würdest du nicht den weiten Weg zu deinen Feldern gehen müssen, denn du hättest genügend Pennys. Stell dir vor, du müsstest nicht mehr jede Woche zum Markt – du könntest in einer Hängematte liegen oder sonntags zur Kirche gehen. Und abends hättest du Muße, zu tun, was immer dir Spaß macht. Was hältst du davon, Ezra?«
    Ezra erinnert sich, dass er nur noch erwidern konnte: »Aber ’s Feld hat mich schon so lang gefüttert«, bevor Massa Goodwin die Hand hob, um seine Rede zu unterbrechen. Dann trat er einen Schritt zurück und rief Miss July.
    Und das war Ezras Beweis! Denn Ezra hatte schon immer geglaubt, dass Massa Goodwin die Redeweise der Neger einfach nicht verstand. Herein kam Miss July, das Hausbedienstetengesicht zu einer spöttischen Miene verzogen, als setze ein schlechter Geruch ihrer Nase zu. Und der Massa sagte: »Bitte wiederhole, was du gesagt hast.«
    Also sprach Ezra, er ziehe es vor, auf seinem eigenen Grund und Boden zu arbeiten, denn die Plackerei auf den Zuckerrohrfeldern
sei schwer und lang, und doch könne er bei den Feldfrüchten, die er pflanzen, düngen und schneiden müsse, keinen Gewinn erzielen. Die Arbeit auf seinem eigenen Grund und Boden dagegen belohne ihn mit Erzeugnissen, die er behalten könne. Da wandte sich der Massa an Miss July, die alles, was Ezra gesagt hatte, noch einmal wiederholte, aber mit der Präzision eines Bakkras. Und während der Massa ihr zuhörte, verdüsterten sich seine Augen.
    Dann wiederholte auch der Massa noch einmal, was er bereits gesagt hatte – Hängematte, Kirche, Pennys, die schönen Kleider für seine Frau –, doch mit erhobener Stimme. Er endete mit dem Ausruf: »Kapierste das, Junge?«, einem Ausruf, der so laut war, dass er das Wurm weckte, das vor Miss Julys Brust gebunden war. Und als das Wurm brüllte, begann der Massa zu betteln: »Nun, Junge, willst du nicht tun, was ich dir vorschlage? Nein? Sag, dass du’s willst, dann hat die Sache ein Ende. Komm schon, Ezra, sag, dass du nur noch für mich arbeiten wirst.«
    Und Ezra, der sich in seiner eigenen Hütte von einer aufgestiegenen Hausbediensteten, ihrem greinenden Wurm und der Hartnäckigkeit des Massas bedrängt sah, merkte bald, dass er, nein, nicht glücklich war, dass er ganz und gar nicht glücklich war!
    Daraufhin suchte der Massa Nancy, Benjamin, Anne, Peggy, Cornet und Mary auf und sprach sie lächelnd und mit schmeichelnden Worten an. »Wenn ihr nur für mich arbeitet«, sagte er, »bekommt ihr einen guten Lohn. Ihr würdet nicht mehr so viel Mühe auf eure Felder verwenden müssen, weil ich euch mit genug Geld versorgen würde, dass ihr eure Lebensmittel und vieles andere mehr auf dem Markt kaufen könnt.«
    Aber Samuel konnte sich an kein Lächeln im Gesicht des Massas erinnern, als dieser zu ihm kam. Vielmehr hatte er die Arme verschränkt, den Mund zu einem dünnen Strich zusammengepresst und die Stirn in tiefe Falten gelegt. Samuel war im Begriff, auf das Ansinnen des Massas zu antworten – wie die
anderen würde er ein wenig gegen Lohn arbeiten, aber niemals auf seinen Fischfang verzichten –, musste jedoch schweigen, als der Massa ihm zu warten befahl. Dann gab dieser Miss July ein Zeichen, alles zu wiederholen, was er Samuel soeben gesagt hatte. Und obwohl Miss July zögerte weiterzureden, als Samuel sagte: »Ja, hab’s kapiert, Massa, aber … Ja, hab’s kapiert, aber … Miss July, hab’s kapiert, aber …«, befahl Massa Goodwin ihr, fortzufahren.
    Erst als Miss July jedes gottverdammte Wort wiederholt hatte, durfte Samuel reden. Doch er hatte gerade mal genug Luft geholt, um zu sagen: »Ihr müsst verstehen …«, da donnerte der Massa: »Warum tust du nicht, was ich dir sage? Es wird zu unser aller Wohl sein. Tu einfach, was ich dir sage, verdammt noch mal!«
    Fanny hingegen erinnerte sich, dass der Massa in ihrem Haus wie verhext war. Aber nicht ihretwegen – nicht einmal, nachdem

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