Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
»Ehe du dich’s versiehst, bist du auch schon wieder draußen. Aber erst müssen wir Miranda befreien, damit sie uns helfen kann. Miranda, versuch dich zu entspannen. In null Komma nix haben wir dich wieder draußen.«
»Was ist mit Mom?«, rief ich. »Daddy?«
»Der geht’s gut«, sagte Dad. »Und Syl auch. Wir sind gleich wieder zurück. Halt durch, Miranda. Nur noch ein paar Minuten.«
Ich hatte ihn nicht kommen hören, weil Lisa und Gabriel so laut geweint hatten. Aber ich hörte, wie er wieder ging, und dieses Geräusch, wie er sich von mir entfernte, machte mir schreckliche Angst.
Ich ermahnte mich zur Ruhe. Dad und Matt würden mich hier rausholen, und dann war alles wieder gut. Mom und Syl lebten. Lisa konnte sich geirrt haben, was Charlie anging. Und auch Alex, Jon und Julie war bestimmt nichts passiert. Es durfte ihnen einfach nichts passiert sein. Keinem von uns. Wir hatten schließlich schon Schlimmeres überlebt. Also würden wir auch das hier zusammen durchstehen.
Erst jetzt bemerkte ich, wie fest ich immer noch Alex’ Messbuch umklammert hielt, und ich dachte, das durfte ich Matt auf keinen Fall sehen lassen. Wenn der herausfand, dass ich nach Alex’ Messbuch gesucht hatte, statt Mom und Syl zu warnen, würde er mir das nie verzeihen.
Aber es konnte nur einen Grund geben, warum Alex mir aufgetragen hatte, es zu holen: weil die Passierscheine sich darin befanden.
Im Schrank war es stockfinster und ich hatte auch keine meiner Lampenstifte dabei. Ich hielt das Messbuch verkehrt herum und ein Umschlag fiel heraus. Ich tastete. Auf jeden Fall waren irgendwelche Papiere darin, aber auch noch etwas anderes, das sich wie kleine Knöpfe anfühlte.
Das mussten die Tabletten sein. Die Schlaftabletten, von denen Alex mir erzählt hatte. Die Julie so tief schlafen lassen sollten, dass sie ihren Tod nicht spürte.
Ich schob mir den Umschlag unters Shirt und versteckte das Messbuch in einer Ecke des Schranks. Matt sollte nie davon erfahren. Ich würde Alex den Umschlag zurückgeben, und wir würden gemeinsam fortgehen, wie geplant. Dad, Lisa und dem Kleinen ging es gut. Julie wäre in der sicheren Stadt versorgt, und sobald wir sie dort untergebracht hatten, konnte Alex die Tabletten wegwerfen. Wir beide würden uns ein gemeinsames Leben aufbauen. Wir hätten eine Zukunft.
Und dann hörte ich sie. Dad, Matt und Syl. Als ich Syls Stimme hörte, wusste ich, dass Mom tatsächlich nichts passiert war und dass auch mir nichts passieren würde.
»Miranda«, sagte Dad, »wir graben uns zu dir durch, aber es wird ein paar Minuten dauern. Ist bei dir noch alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut, Dad«, sagte ich, lachend und weinend zugleich. »Lasst euch Zeit.«
Dad gab ein Geräusch von sich, das ich für ein Lachen hielt. Ich lauschte darauf, wie die drei den Weg zu meinem Schrank freiräumten. Im Hintergrund war Lisas Weinen zu hören und Dad, der ihr zurief, alles würde wieder gut.
Ich spürte den Umschlag an meinem Bauch. Ich redete mir ein, dass Alex bestimmt noch lebte, dass ich ihm den Umschlag geben würde, und dass er, sollte er je einen Beweis meiner Liebe gebraucht haben, dann nie wieder einen brauchte.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis Dad schließlich die Tür aufriss. Ein paar Minuten vielleicht. Oder ewig. Ich konnte ihn erst gar nicht sehen. Draußen war es zwar nicht gerade hell, aber ich musste mich trotzdem erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Doch das war egal. Dad griff nach mir und zog mich heraus.
»Schön vorsichtig, Liebes«, sagte er. »Hier liegt alles voller Schutt und Scherben. Halt dich an mir fest, dann bring ich dich nach draußen.«
Ich folgte ihm und stolperte blind durch die Überreste von Mrs Nesbitts Haus, meinem zweiten Zuhause. Und erkannte allmählich, dass überhaupt kein Haus mehr übrig war. Es war um mich herum komplett zusammengebrochen. Nur die Treppe hatte mich davor bewahrt, von den Trümmern erschlagen zu werden.
Wir blieben am Rand des riesigen Schutthaufens stehen, und ich klammerte mich weiter an Dad, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte.
Dann umarmte ich Matt und Syl. Nichts, das gestern Abend gesagt worden war, war heute noch wichtig. Nichts war mehr wichtig, außer dass wir am Leben waren.
»Jon?«, fragte ich. »Julie? Alex?«
Dad schüttelte den Kopf. »Keiner weiß, wo sie sind. Wir dachten, Alex wäre bei dir.«
»Er ist weitergefahren, um Jon und Julie zu warnen«, sagte ich. »Und Mom geht’s wirklich gut?«
»Komm, wir gehen
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