Das Leben der Wünsche
Beine unkontrolliert in alle Richtungen. Endlich – Passwortabfrage – es war nicht geändert worden.
Ihm war übel. Zwei groteske Minuten dauerte es, bis er auf dem Desktop das E-Mail-Programm gefunden hatte, Eudora. Nach einigen Mausklicks hatte er die ausgehende Post auf dem Schirm. Und gerade in der Sekunde, in der Jonas die E-Mail in der Warteschleife sah, klopfte es an der Tür.
Unfähig, sich zu bewegen oder gar unter dem Schreibtisch zu verkriechen, starrte er auf die Türklinke. Langsam wurde sie hinuntergedrückt. Mit absurder Genauigkeit nahm Jonas den Glanz des Chrombeschlags wahr, die Spiegelung des Lichts. Die Klinke hob sich wieder nach oben. Jonas hörte rasch leiser werdende Schritte.
Er löschte den Auftrag, meldete sich ab und stellte sich zur Tür. Draußen kein Laut. Mit gesenktem Kopf schlüpfte er hinaus. Nach ein paar Metern kam ihm jemand entgegen,doch Jonas tat so, als müsse er sich die Nase putzen, und schaute nicht auf. Wenig später saß er an seinem Schreibtisch, seinen eigenen Angstschweiß riechend.
JP: Erledigt.
Werner Weltumsegler: Was ist erledigt?
JP: Deine E-Mail gibt es nicht mehr.
Werner Weltumsegler: Warst du in Wolfs Zimmer?
JP: So ist es.
Werner Weltumsegler: Hast du das wirklich hingekriegt?
JP: Klar hab ichs hingekriegt.
Werner Weltumsegler: O Mann. O Mannomann. Danke.
Während der Außenstunde, die er im Park verbrachte, las Jonas abwechselnd Berichte über das Gondelunglück und über den Asteroiden. Er betrachtete die grobkörnigen Fotos der Opfer und las ihre Biografien. 45 Jahre, 33, 80, 15, 35. Bergsteiger, Versicherungsangestellte, Schülerin, Bankbeamter, Priester, Richterin, Chorleiter, Einrichtungsberater.
Er schwitzte in der Sonne. Am Kiosk standen die Kollegen gemeinsam mit Schuljungen Schlange und stifteten sie zum Biertrinken und zu Streichen gegen alte Frauen an. Unversehens fühlte er solche Sehnsucht nach Marie, dass er sich alle Fotos von ihr in seinem Mobiltelefon ansah.
Danke für gestern. Es wäre so schön, wenn wir uns öfter sehen könnten.
Vielleicht können wir das ja irgendwann.
Ist das Ausdruck einer Hoffnung? Oder ein Versprechen?
A. fragte, was ich gemacht hätte. Sehr genau. als wüsste oder ahnte er etwas.
Du siehst Gespenster.
Hoffentlich.
Gespenster zu sehen sollte man sich nicht wünschen.
Da hast du auch wieder recht.
8
Bitte, sagte Helen. Mach sie weg!
Sie tun dir doch nichts, sagte Jonas.
Eine im Schlafzimmer, eine im Wohnzimmer, zwei im Bad, eine im Flur, das ist zu viel, das halte ich nicht aus! Unternimm etwas! Jetzt!
Wollt ihr sehen, wie man Spinnen entfernt? fragte er Tom und Chris.
Ihre Augen leuchteten auf. Sie nickten.
Mit der abgerissenen Umschlagseite einer Zeitschrift und einem Glas stellte er sich im Flur auf einen Stuhl. Er stülpte das Glas über die Spinne an der Decke, schob das Papier zwischen Decke und Spinne, und das Tier fiel zuckend ins Glas. Die Jungen sprangen kreischend zur Seite, als er damit zum Fenster ging. Dort zog er das Papier ab, drehte das Glas um und schüttelte es. Die Spinne segelte hinunter in den Garten.
Tut sie sich nicht weh? fragte Tom.
Beim Fallen? Keine Spur.
Warum machst du das?
Weil deine Mutter die Spinne nicht in der Wohnung haben will.
Warum trittst du nicht darauf?
Weil man nichts tötet, auch keine Spinnen! Verstanden? Das ist sehr wichtig! Man darf nichts und niemanden töten! Man darf niemandem etwas zuleide tun! Versteht ihr das?
Sie blickten ein wenig ratlos. Er machte sich auf die Suche nach der nächsten Spinne.
Das hatte ich ganz vergessen, sagte Jonas, als er das Spinnenglas in den Geschirrspüler stellte. Werners Schwester kann es sich vorstellen. Bitte keinen vorschnellen Jubel, sie will sich erst einmal mit dir unterhalten.
Aber das ist doch großartig! Das ist wunderbar! Ich weiß, was das Ergebnis dieses Gesprächs sein wird! Wenn sie meine Ideen hört, wird sie mich anbetteln mitzumachen!
Ich frage mich bloß, ob du dich wirklich mit Werners Schwester geschäftlich einlassen solltest.
Was spricht dagegen? Sie ist bestimmt ehrlich!
Ehrlich ja, aber die ganze Familie ist verrückt. Sophie hat unter Garantie eine Meise. Die beiden sind von ihren Eltern in den ersten drei Jahren nur mit Latein aufgezogen worden. Wenn ich –
Na und? Bildung ist doch von Vorteil.
Wenn ich mit ihm in den Urlaub fahre, muss ich abends den Spalt unten an der Tür meines Hotelzimmers mit Handtüchern abdichten, weil er mir sonst einen
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