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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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ausgetextet, sogar die Überschrift hatte er endlich, doch ihm fehlte eine Idee für das Zeitungsinserat, das sich der Kunde wünschte. Seriös? Knallig? Lustig?
    Eine Rundmail von der Geschäftsführung: Ideen für eine Ausschreibung zur EXPO wurden gesucht. Jonas dachte kurz nach. Er hatte keine.
    Alle paar Minuten schaute er auf sein Mobiltelefon, ob Marie ihm geschrieben hatte. Er rief seinen Aktienstand ab. Ein Prozent plus. Er spielte Mahjong. Zwei Tische hinter ihm stritten Hektor und seine Freundin wegen eines Missgeschicks am Computer. Der Zusammenprall war so leidenschaftlich, dass jemand dazwischenging. Kurz darauf hörte er, wie hinter ihm Flaschen entkorkt wurden. Hektors Freundin lachte meckernd. Gerade als er sich in seiner Verzweiflung über die Autowäscherei zu ihnen gesellen wollte, piepste sein Telefon.
    Muss heute abend zu meiner mutter. Könnten uns vielleicht danach kurz sehen?
     
    Er holte Tom und Chris im Kindergarten ab, setzte sie vor den Fernseher, schob ein Tablett mit Süßigkeiten zwischen sie und stellte Limonade dazu, wobei er sein Gewissen damit zu beruhigen versuchte, dass es eine Ausnahme war und der Zahnarzt gerade erst ihre Zähne gelobt hatte, bevor auch er von Tom gebissen worden war. Irina, die Babysitterin, ging nicht ans Telefon. Er sprach ihr eine Nachricht aufs Band.
    Er füllte ein Huhn mit Gemüse, legte es mit ein paar Kartoffeln auf das Blech und schob alles ins Backrohr. Das Telefon behielt er im Auge, nicht nur wegen Irina. Womöglich hatte Marie schon früher Zeit. Oder schickte ihm einfach so eine Nachricht. Wo war sie wohl gerade? Noch in der Arbeit? Schon unterwegs zu ihrer Mutter? In der U-Bahn?
    Den Kindern wurde vor dem Fernseher langweilig. Sie wollten mit der Eisenbahn spielen. Er baute sie ihnen auf. Als er hinausgehen wollte, krallten sie sich an seinem T-Shirt fest.
    Du musst mit uns spielen! Wir können es nicht allein!
    Kinder, die nicht allein spielen können, gibt es nicht, Tom, die kommen schon so auf die Welt. Außerdem bist du nicht allein, Chris wird dir beim Spielen helfen.
    Bleib da!
    Ich kann nicht, ich muss nach dem Essen sehen!
    Bitte! Bleib da! Eine CD anhören!
    Nein, jetzt wird keine CD angehört.
    Du bleibst da und holst uns Kekse!
    Er geriet aus dem Gleichgewicht, und weil Chris vor ihm auf dem Boden lag, machte er einen Schritt zur Seite und knickte um.
    Schluss! Ihr könnt allein spielen! In einer Viertelstunde bin ich wieder da, dann spielen wir, eine Stunde, zwei Stunden! Aber nicht jetzt!
    Er schlug die Tür zu. Dahinter ertönte zweistimmiges Weinen, das eine hysterisch und zornig, das andere von abgründiger Verzweiflung. In der Küche trank er einen Schluck Wein. Am Handy keine Nachricht von Irina, dafür schrieb Marie, sie könne ab zehn.
    Er umarmte die Jungen und entschuldigte sich. Er verstand nicht, warum er so ungeduldig mit ihnen war. Ein paar Minuten ließ er sie auf sich herumturnen, dann durfte er wieder in die Küche.
    Ich will bei dir sein! schrieb Marie.
    Ihn erfüllte eine so schmerzhafte, wütende Sehnsucht nach ihr, dass er sich im Schlafzimmer einsperrte, um mit sich und seinem Bild von ihr allein zu sein. Gegen den Schrank gelehnt, malte er sich aus, wie sie vor ihm stand. Er sah ihren Blick. Er fühlte sich erwählt und verdammt zugleich, und er fragte sich, ob es so sein musste, ob es eine existenzielle, metaphysische Notwendigkeit war, eine Erfahrung,die jeder machen musste: jemanden zu lieben, den man nicht haben konnte.
     
    Um sechs holte er das Huhn aus dem Rohr. Die Kinder wollten lieber Nudeln. Er machte sie ihnen. Er sah ihnen beim Essen zu. Selbst hatte er weder Hunger noch Appetit. Er war von allgemeiner Gleichgültigkeit erfasst, ihn interessierte nur der Anruf der Babysitterin. Das Huhn brachte er Joey, der sich die Augen wischen musste.
    Sieben. Irina meldete sich nicht. Wo trieb sie sich herum? Eine Schülerin konnte ja nicht einfach verreisen, die musste man doch erreichen können! Halb acht. Jonas versuchte es bei der anderen Babysitterin, der verzopften Studentin, aber sie hatte keine Zeit.
    Er steckte Tom und Chris in die Badewanne. In wachsender Aufregung überlegte er, wen er bitten könnte zu kommen. Anne hatte ihre eigenen Probleme und ging zudem früh schlafen. Seine Schwiegereltern würden Fragen stellen. Werner fürchtete sich vor kleinen Kindern. Siad arbeitete. Und der Nachbar war ein verkorkster Kerl.
    Er hinterließ auf Irinas Mailbox die Nachricht, er würde das Doppelte

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