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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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aus.
    Er müsse gestehen, er sei ziemlich aus der Fassung.
    Das sei sie auch.
    Das sei ein merkwürdiger Tag, sagte er.
    Sie würde nun gern woandershin.
    Er habe nichts dagegen, solange er dabei sein könne.
    Das höre sich gut an, sagte sie.
    Warum er nichts sage, fragte sie.
     
    Du bist es, sagte sie.

DREI

1
    Nach zwei Tagen, von denen sie den ersten in ihrem Bett und den zweiten in seinem verbracht hatten, sagte Marie morgens:
    Ich würde dir gern etwas zeigen. Ich kann aber nicht garantieren, dass es dich interessieren wird.
    Lass es uns herausfinden.
    Im Treppenhaus lief ihnen Joey über den Weg. Er starrte Marie an und brachte kein Wort heraus. Jonas klopfte ihm auf die Schulter.
    Wer war denn das? fragte sie.
    Das ist eine gute Frage.
    Sie fuhr schnittig. Er betrachtete sie von der Seite. Sie trug eine fransige kurze Jeans und eine hellblaue Bluse. Sie warf ihm einen Blick zu. Er sah den kleinen schwarzen Punkt in ihrer Iris. Die ganze Fahrt schaute er kein einziges Mal auf die Straße, nicht einmal, als sie abrupt bremsen musste. Sie lächelte.
    In einer Nebenstraße am Stadtrand hielt sie.
    Hier möchte ich mit dir spazieren gehen!
    Hier? entfuhr es ihm.
    Links eine schmutzig graue Häuserzeile, rechts eine Kastanienallee, auf der Abfall umherlag und von der der Geruch von Hundedreck zu ihnen wehte. Ihm fielen die kaputten oder zumindest stark beschädigten Autos am Straßenrand auf. Müll türmte sich daneben, an einer Stelle war die Fahrbahn übersät mit flach gedrückten,teils verbrannten Kartons. Ein dunkelhäutiges Kind sah Marie und Jonas kommen und versteckte sich in einem Hauseingang. Ein Mädchen kam auf sie zu, wies auf die Kartons und sagte:
    Da ist jemand gestorben!
    Ach so? fragte Marie. Wieso ist da jemand gestorben?
    Weil ihn das Auto zerdrückt hat! Alles war voll Blut!
    Sie lief davon. Marie zog Jonas am Ellbogen weiter.
    Das da war unser Haus, sagte sie, hier bin ich aufgewachsen.
    Sie standen vor einem unscheinbaren vierstöckigen Altbau. Im Gegensatz zu den anderen Häusern hatte es ein neues Eingangstor mit moderner Gegensprechanlage.
    Hast du die Schlüssel? fragte er. Wohnt ihr hier noch?
    Sie schüttelte den Kopf. Wer will denn hier noch wohnen?
    Welches war dein Fenster?
    Dritter Stock. Das dritte und vierte von links.
    Er musste einen Schritt zurück machen, weil ein Auto vorbeifuhr. Er stellte sich Marie als Kind vor, wie sie da oben stand und in die Welt hinausschaute.
    Zum Teil waren die Häuser verfallen, und auch die Straße wurde schlechter, je weiter sie gingen. Der Asphalt war aufgebrochen und endete schließlich ganz. Stattdessen fuhren die klapprigen Autos der Anwohner über festgestampfte Erde, wobei sie mit Regenwasser gefüllten Schlaglöchern ausweichen mussten. In den Ecken drückten sich Jugendliche herum und beobachteten misstrauisch die Fremden.
    Reizend, sagte Jonas.
    Kümmere dich nicht um sie.
    Nicht nötig. Sie kümmern sich um uns.
    Einige junge Männer hatten ihre Plätze um einen Bierkasten aufgegeben und folgten ihnen. Einer fiel Jonas besonders auf, er hatte eine Tätowierung an der Wange und einen heimtückischen Ausdruck.
    Willst du zurück? fragte Marie.
    Wegen denen? Aber kein Gedanke! Was möchtest du mir noch zeigen?
    Am Ende der Straße lag ein kleiner Park. Marie führte ihn zu einem Birnbaum.
    Das war meiner. Hier habe ich gesessen und nachgedacht. Hier habe ich mich versteckt, beim Spielen oder wenn es zu Hause dicke Luft gab. Sie strich über die graue, abblätternde Rinde. Schade, dass ich nie etwas eingeritzt habe.
    Er umarmte sie. Sie lehnte den Kopf an seine Wange. Umschlungen standen sie da, bis Marie sagte:
    Und jetzt du!
    Und jetzt ich?
    Deine Kindheit! Die Orte! Ich will ein Haus sehen!
    Zuerst würde ich dir gern etwas anderes zeigen, sagte er. Aber das Haus kommt auch noch an die Reihe.
    Vor dem Park warteten vier junge Männer. Der mit der Tätowierung an der Wange reichte seine Bierflasche einem anderen und machte ein paar Schritte auf Jonas und Marie zu. Jonas, der die Gruppe bis dahin ignoriert hatte, blickte dem Mann fest in die Augen. Dieser blieb stehen, kratzte sich den Kopf, drehte sich um und ging zu seinen Freunden zurück.
    Der hat es sich wieder überlegt, sagte Marie.

2
    Die ersten beiden Abzweigungen waren falsch. Als er zur dritten kam, wusste er, dass er richtig war. Der Wagen holperte bergauf, unter den Reifen knisterte und klackte der Splitt, Jonas liebte das Geräusch seit seiner Kindheit. Marie strich mit der

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