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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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wieder weggehen, und nicht weiter auf die Person geachtet. Etwas Bekanntes drang an sein Bewusstsein, indem es einen seiner Sinne antippte, welchen?
    Er schaute auf. Blaue Augen. Ein kleiner schwarzer Punkt. Ein eindringlicher Blick.
    Ah, sagte er. Oh.
    Und Angst und Hoffnung zerrissen ihn beinahe.
    Musst du noch arbeiten? fragte sie.
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    Sie streckte die Hand aus. Er nahm sie und folgte ihr zum Lift. Auf dem Weg sah er, wie in Zeitlupe, die Blicke der anderen. Werners Lächeln. Ein bekümmerter Zug auf Ninas Gesicht, ehe sie sich wegdrehte. Severin und Hektor, die bewundernd der Frau im grünen Hermès-Kleid nachstarrten. Sondheimer, der starrte und lächelte.

30
    Sie fragte, ob sie es erklären müsse, oder ob er Bescheid wisse.
    Er wüsste schon gern, was in ihr vorgegangen sei, antwortete er, und was jetzt in ihr vorgehe.
    Das habe sie sich schon gedacht, sagte sie.
    Sie solle von vorne anfangen.
    Es gebe kein Vorne, zumindest sei es nicht so wichtig wie das, was zuletzt geschehen sei.
    Dann solle sie eben damit anfangen, und ob sie sich vielleicht irgendwo hinsetzen könnten, weil auf seine Beine bald kein Verlass mehr sei.
    Dieses Café dort drüben erscheine ihr recht, sagte sie.
    Ihm auch, und wie es ihr gehe.
    Sie hätte gern Tee, und er sehe gut aus.
    Er nehme Kaffee, und wenn sie nicht bald mit der Sprache herausrücke, würde er unberechenbar.
    Sie habe Apok vor zwei Wochen verlassen. Vor einer Woche sei er als Kämpfer nach Ossetien gegangen.
    Er sei was, fragte Jonas.
    Er habe schon verstanden, sagte Marie.
    Er verstehe immer nur Ossetien, sagte Jonas, ob da ein Hörfehler vorliege, und wenn nicht, was um alles in der Welt habe Apok mit Ossetien zu tun.
    Sie könne es auch nicht begreifen, er scheine verrückt geworden zu sein. Seine Spur verliere sich bei einer Anwerbestelle für russische Freiwillige, wo sie ihn mitseinen körperlichen Qualitäten und seiner Kampferfahrung natürlich gern genommen hätten. Ob und wann er zurückkomme, wisse man nicht. Warum Jonas so schaue.
    Er habe ein Déjà-vu, sagte er. Kein Déjà-vu, aber etwas Verwandtes. Etwas komme ihm gerade sehr seltsam vor, ohne dass er sagen könne, was es sei. Und es habe mit Apok zu tun.
    Das wundere sie nicht, sagte sie. Etwas anderes mitzuteilen sei ihr aber viel wichtiger, und deswegen solle er nach Möglichkeit noch den Schnabel halten.
    Allerhand sei das, allerhand.
    Was ihr bereits in der Zeit davor klar geworden sei, wovon sie aber lange nicht gewusst habe, wie sie es umsetzen könne, seien ihr Wunsch und die Notwendigkeit gewesen, mit Jonas zusammen zu sein, ob es einen Apok gebe oder nicht, ob er zurückkäme oder nicht. So, und jetzt sei es endlich raus.
    Das meine sie so? Das wolle sie wirklich?
    Das meine sie so. Ja, das wolle sie wirklich.
    Das sei eine interessante Entwicklung, sagte er.
    Sie glaube, sie sei froh, dass Apok weg sei, sagte sie.
    Wieso sie das glaube, fragte er.
    Weil es kein richtiges Leben im falschen gebe, oder wie dieser Sinnspruch laute.
    Ob die Kellnerin so freundlich wäre, ihnen zweimal Schnaps zu bringen, fragte Jonas. Warum Marie so lache, fragte er.
    Sie lache, weil er genau so sei, wie sie ihn kenne und wie sie sich in all den Wochen an ihn erinnert habe, mit derselben Stimme, mit diesem bestimmten Ton, in dem er Getränke bestelle, überhaupt mit der Art, die er eben habe und die sie so vermisst hätte.
    Und wenn Apok zurückkäme? Wenn doch …
    Es änderte nichts. Die Dinge seien, wie sie seien, jene in ihr, sie habe die Klarheit gefunden, die sie sich gewünscht habe. Deshalb habe sie Apok verlassen. Außerdem solle ihr einer, der nicht bei seinem Kind bleibe, sondern lieber in den Krieg ziehe, besser nicht noch einmal unter die Augen kommen.
    Der Schnaps sei gut, sagte Jonas, er glaube, er brauche noch einen.
    Alkohol mache impotent, er solle sich das überlegen.
    Mineralwasser sei auch ein wunderbares Getränk, sagte er.
    In ihrer Familie habe sich vieles positiv entwickelt. Ihre Schwester sei von den Drogen losgekommen, und ihrem Vater gehe es auch besser.
    Das höre er gern.
    Ob er vielleicht ein paar Tage Zeit habe? Sich frei nehmen könne? Sie nämlich habe drei Wochen Urlaub. Zudem hätten Mutter und Schwester versprochen, ein paar Tage auf den Kleinen achtzugeben, gemeinsam mit der Babysitterin.
    Wie es Sascha gehe, fragte Jonas.
    Es gehe ihm gut.
    Das sei schön, und sie sei schön.
    Er sei es auch.
    So sehe es also aus, sagte er.
    Ja, so sehe es

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