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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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erste Mal getroffen hatte, damals, im Café, als er frech ihre Telefonnummer mitgeschrieben hatte. Den ganzen Tag zuvor war sie in ihrer Uniform durch die Stadt gehetzt, und er hatte ihren Körpergeruch durch ihr Zitronenparfum hindurch gerochen. Er war geradezu erschrocken gewesen, wie sehr ihn dieser Duft betörte. Er hatte es gemerkt, er hatte es gewusst, und trotzdem war er dem Effekt hilflos ausgeliefert gewesen.
    Er fühlte ihre Hand an der Hüfte.
    Marie, könnte sein, dass ich zu müde bin.
    Sie lachte leise. Zu müde, so.
    Er griff nach ihrer Hand. Sie wich ihm aus und glitt mit dem Kopf über seine Brust, knöpfte sein Hemd weiter auf, küsste die dichte schwarze Haarlinie, die sich von seinem Nabel gerade nach unten zog.
    Habe ich dir schon einmal gesagt, dass du am Bauch die schönste Zeichnung hast, die ich an dieser Stelle je gesehen habe?
    Du hast es erwähnt. Marie, ich –
    Sie drückte ihn sanft nieder.
    Du bleibst einfach liegen, sagte sie.
    Ich – ich bleibe einfach liegen. Alles klar.
    Sie öffnete seine Hose und nahm ihn in den Mund. Der Reiz war so heftig, entsprang einem so schamlosen Begehren derjenigen, die ihn ausübte, dass Jonas innerhalb von Sekunden eine Erektion hatte. Er hob den Kopfund sah zu. Halb und halb nahm er wahr, dass irgendwo eine Krähe schrie, und dass er den Klang unwirklich fand.
    Als sich Marie auf ihn setzte, schlossen sich seine Lider von selbst. Sie schob sie zart wieder nach oben. Ihr Blick tauchte in seinen, und er hatte das Gefühl, tief in sie hineinsehen zu können. Allmählich wich ihr Lächeln dem Ausdruck roher Lust, und nun kniff sie die Augen zusammen. Sie wurde lauter, ihre Bewegungen verloren den Rhythmus, wurden impulsiver, ruckartiger. Er fühlte den Felsen hart unter sich. Sein Steißbein drückte auf einen kantigen Stein, der unablässig größer zu werden schien. Er merkte, dass er blutete. Es kümmerte ihn nicht, er ließ sich einfach fallen, in sie.
    Wann und wie sie den Büstenhalter losgeworden war, wusste er nicht. Er sah ihre schaukelnden Brüste mit den großen Höfen, ihr Haar vor ihrem Gesicht, den Schweißfilm auf ihrem Hals und zwischen ihren Brüsten. Er sah ihr aufklaffendes Geschlecht, das seines fest umspannte.
    Hoch über ihnen ein Flugzeug, das einen feinen weißen Streifen in den Himmel malte.
     
    Beim Abstieg blieb Jonas abermals an der Felsnische stehen.
    Was ist da? fragte er.
    Komm, lass uns gehen.
    Sieht aus wie eine Inschrift, sagte er. Was meinst du?
    Principium Deus aeternus finisque beatus, las sie laut. Ich verstehe. Das ist alt. Können wir weitergehen? Mir gefällt es hier nicht.
    Wie alt ist es denn, was schätzt du?
    Wissen ist besser als schätzen, sagte sie und beugte sich vor.
    Wissen wird schwierig, sagte er. Mindestens zweihundert Jahre –
    Wissen wird gar nicht schwierig. Gib mir eine Sekunde.
    Schweigend sah Jonas zu, wie sie mit den Fingern die Gravur der verwitterten Buchstaben entlangfuhr und dabei vor sich hin murmelte.
    1630, sagte sie und richtete sich wieder auf.
    Schätzt du?
    Weiß ich. Wenn ich mich nicht verrechnet habe. Das ist ein Chronogramm.
    Ich kenne den Begriff, weiß aber nicht, was er bedeutet.
    Ein Satz oder Vers, in dem Zahlen verschlüsselt sind.
    Jonas betrachtete die Inschrift genauer.
    Manche Buchstaben sind dicker als andere! rief er.
    Fangen wir an, sagte sie. In Principium das I, das C, noch ein I, das IVM …
    D, V, V, I, I, V, V, ich verstehe, sagte Jonas. Und das …
    …das heißt 1+100+1+1+5+1000+500+5+5+1+1+5+5. Macht 1630.
    Wann hast du für den Geheimdienst gearbeitet? fragte Jonas.
    Wahrscheinlich nach dem Romanistikstudium?
    Da lernt man so etwas?
    Aber sicher. Verstehst du die Inschrift?
    Nicht ganz, ich scheitere am Prinzip.
    Eben nicht Prinzip, sondern Anfang. Anfang und glückliches Ende … nein, das kann man schöner … Moment. Ich habs! Anfang zugleich ist der ewige Gott und seliges Ende.
    Was bedeutet das? fragte er. Was könnte hier geschehen sein?
    Nichts Schönes, vermute ich. Mir gefällt der Platz überhaupt nicht. Ich war hier schon mal, oder jedenfalls an einem Ort, der so ähnlich aussieht.
    Bei welcher Gelegenheit?
    Ich will weg.
    Ist etwas mit dir?
    Mit weit ausholenden Schritten marschierte sie talwärts, ohne sich auch nur einmal nach ihm umzusehen.

3
    Marie betrachtete das Haus. Viel war nicht zu sehen, weil zwei Straßenlaternen ausgefallen waren. Über einem Müllcontainer ragte ein Berg aufgeplatzter Müllsäcke auf, rundherum lagen Glasscherben

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