Das Leben Findet Heute Statt
haben? War, bevor es uns gab, nicht schon vorher ein anderer da?
Nimm Gott mit ins Bild. Jeder ist nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. Wer sich dieser jüdisch-christlichen Überlieferung annähert, wird weitsichtig und gelassen wie ein Kapuziner. Er empfängt in der Klausur seines Herzens von Herzschlag zu Herzschlag die Zusage: «Mensch, aus dir wird schon was werden!»
2. Die Klosterpforte
«Grüß Gott – wenn du ihn siehst.» Oder: Ironie macht immun
Bei uns fällt man nicht mit der Tür ins Haus. Eine gute Begegnung braucht Achtsamkeit für den Zwischenraum. Sie gehen aus dem Lärm der Straße in die Stille unseres Hauses. Eine Niederlassung der Brüder will Sie aus der Alltagshektik herauslösen, wenn Sie heimkommen, ankommen. Unsere Gäste sollen Zeit haben, sich einzustellen auf die Begegnung mit uns, mit sich selbst und hoffentlich auch mit Gott. Deswegen gibt es nach der Hauptpfortentür eine weitere Zwischentür. So entsteht ein kleiner, aber wichtiger Raum, der die Schwelle bildet, über die es ins Innere des Hauses geht. Hier kann sich der heimkehrende Bruder sammeln. Diese Stelle lädt unsere Gäste zur Konzentration ein, und sie fragen sich: «Was wollte ich eigentlich, als ich mich entschloss, zu den Brüdern zu gehen?»
Dieser Bereich ist sehr karg, werden Sie feststellen, sobald Sie ihn mit Ihrem Flur daheim vergleichen. Sind Sie sich bewusst, dass es in Ihrer Wohnung auch nicht einfach so weitergehen darf wie draußen? Wenn Sie Ihr Leben wirklich gestalten wollen, brauchen Sie bis in den Flur hinein Signale, die Sie auffordern, daheim nicht einfach so weiterzudrehen am Rad der Überfülle und Überforderung.
Ich brauche mir nur so manches Klingelschild anzusehen, um mir vorstellen zu können, wie flüchtig die Bewohner auch sonst in ihrem sogenannten Daheim leben. Da möchte man dochschon gar nicht draufdrücken. Es könnte sonst sein, dass einem beim Öffnen der Wohnungstür eine Welt wie draußen entgegenkommt, die man doch eigentlich hinter sich lassen wollte. Bei uns im Kloster hängt heute zwar nicht mehr das alte Seil, über das man früher eine altehrwürdige Pfortenglocke zum Klingen brachte, stattdessen wird der Bruder Pförtner mit einer elektrischen Rufanlage informiert. Diese sendet ein Signal auf ein schnurloses Telefon. Das hilft uns, die Stille im Haus zu wahren.
Wenn der Pförtner zur Tür geht, stellt er sich auf die Begegnung ein. Auch Sie als Gast können Ihre Gedanken jetzt noch ordnen. Es geschieht, was dieser Bereich des Klosters auch baulich signalisiert: Hier hat man Raum und Zeit, sich zwischen Draußen und Drinnen auf die Begegnung einzustellen. Das ist uns wichtig: Denn eine Begegnung kann die ganze Welt verändern. Im Gespräch können Ideen aufkommen, die uns hier und heute neu werden lassen. Wir kennen das gut: Da hat sich einer ein Herz genommen, und dann ist er im letzten Moment doch wieder gegangen. Sein Leben hätte mit dieser Begegnung heute schon anders werden können. Aber er bleibt doch lieber im alten Sumpf, weil er sich damit ja auskennt.
Die Klosterpforte lässt uns diese Freiheit. Selbst wenn die Tür schon geöffnet wurde, lässt die Schwelle noch Gelegenheit, sich mit Anstand wieder voneinander zu verabschieden. Es muss nicht jeder mit jedem zu einer guten Begegnung finden können. Diese Annahme gehört zu den Irrtümern vieler Unglücklicher, die meinen, sie müssten mit allen Menschen zurechtkommen. Die Magazine sind voll von Tipps dafür. Mir hat in diesem Zusammenhang immer schon die katholische Erbsündenlehre gefallen. Sie besagt ganz realistisch, dass wir nicht im Paradies sind. Das gilt auch für die Beziehungen untereinander. Ein vollkommenes Netzwerk wird es auf Erden nicht geben. Selbst ineiner Brüdergemeinschaft nicht. Franziskus nennt sich deswegen auch «Bruder von der Buße». Dabei meint er mit Buße, sich täglich aufs Neue Gott und den Mitmenschen zuzuwenden. Er rechnet damit, dass Fehler und Unzulänglichkeiten passieren können. Das bewahrt ihn davor, bei den Enttäuschungen stehenzubleiben, die das Leben mit sich bringt. Vielleicht war er deswegen so hellwach für den Augenblick. Wer weiß, dass Fehler einfach dazugehören und etwas misslingen darf, traut sich viel leichter, etwas erneut zu beginnen.
Wer aber ständig denkt, alles müsse vollkommen sein, einschließlich seiner selbst, gerät in die Ironiefalle. Da man ja auf jeden Fall als der Bessere erscheinen will, wird alles und jedes in der Umgebung
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