Das Leben in 38 Tagen
hin erklärte sie mir, dass er das immer bei übermäßiger
Freude tun würde. „Hauptsache, meine Tiere leben noch alle und mein Mann hat
sie nicht vergiftet, um mir eins auszuwischen!“ Ich war entsetzt, dass sie
ihrem Mann so etwas zutraute. „Ich freue mich nur auf meine Tiere und auf
meinen Garten. Deshalb kann ich auch nicht dort weg. Das ist mein Leben. Und
mein Mann kann machen, was er will. Es interessiert mich nicht mehr!“ Bestürzt
versuchte ich mir vorzustellen, wie das Leben von Sonja im Haus ihres Mannes
wohl aussah, wenn jeder nur noch für sich lebte. Aber schlimmer war sicher die
Tatsache, dass sie sich nicht mehr gegenseitig respektieren konnten. Und um der
ganzen traurigen Geschichte noch die Krone aufzusetzen, erzählte Sonja mir von
ihrem Hobby, dem Swingerclub . Freimütig beantwortete
sie alle meine Fragen, denn ich war noch nie jemandem begegnet, der sich in
diesem Milieu auskannte. Durch Sonjas ständiges Geplapper verging die Zeit wie
im Flug.
Die
Strecke war immer noch sehr schön zu laufen; über sandige Wald- und Feldwege
ging es vorbei an verstreut liegenden Dörfern. Doch durch das ständige Auf und
Ab taten uns auch langsam nach über 25 Kilometern die Füße weh und wir waren
froh, nach einem weiteren Anstieg endlich auf unser Tagesziel Ribadiso hinabblicken zu können. Ribadiso war ein winziges Dort mit weit auseinanderliegenden Häusern aus grauen
Natursteinen.
Die
Herberge lag wunderschön direkt an einem Bach, über den eine alte Brücke
führte. An seinem Ufer saßen schon einige Pilger und erfrischten ihre wunden
Füße im Wasser. Daneben stand ein Pferd und graste. Ungezwungene Idylle empfing
uns hier und wir waren unheimlich froh, noch ein Bett in einem der beiden alten
Häuser aus dicken Steinmauern zu ergattern. Hier trafen wir auch Elisabeth, Maria
und Gerold.
Zu
dem Herbergsgelände gehörte ein großer Garten, in dessen Mitte ein unter dem
Dach offener Waschtrakt stand. Hier konnte man den Vorzug genießen, während dem
Waschen und Duschen frische Luft atmen zu können, was mir alter Frostbeule
nicht ganz so gut gefiel. Na, wenigstens war das Wasser heiß! Sonja testete
lieber erst einmal das kalte Wasser im Bach, um ihre angeschwollenen, heißen
Füße zu kühlen. Danach gingen wir Abendessen in einer kleinen Bar, wo wir beide
neben einem älteren Fahrradpilger-Pärchen aus Göttingen die einzigen Gäste
waren. Das gefiel Sonja gar nicht, denn sie wollte immer Ablenkung, Action und
Spaß! Da war sie bei mir allerdings an der falschen Adresse, denn ich hatte
wirklich keine Lust mehr, jetzt noch einmal weiterzulaufen und die andere
Gaststätte zu suchen, wo die meisten Pilger wohl hingegangen waren. So tranken
wir beide eine Flasche Wein zusammen, während Sonja erzählte und erzählte und
ich überlegte, ob das nun bis Santiago so weitergehen würde.
Nur
noch fünfzig Kilometer bis zu unserem Ziel lagen vor uns! Heute war Dienstag
und ich könnte schon übermorgen in Santiago sein, wenn ich es wollte! Ein
herrliches Glücksgefühl durchströmte mich. Ich würde es schaffen! Ich würde
alles schaffen, was ich mir vornahm. Ich war mutig und stark, oder? Wenn Gott
für mich war, wer wollte dann gegen mich sein? Als ich später in meinem Bett
lag und Sonja unter mir zu schnarchen begann, dachte ich noch einmal über den
vergangenen Tag nach. Beim Abendessen hatte mich die Frau des Radpilgerpärchens,
eine ehemalige Lehrerin (mir wieder sympathisch - Sonja nicht) nach meinem
Ehemann gefragt. „Und da lässt er Sie ganz allein so lange weg? Wissen Sie
eigentlich, was das für ein Geschenk ist, wenn Ihr Mann so viel Vertrauen in
Sie hat?“
In
diesem Augenblick wurde mir richtig bewusst, dass dieser Weg auch ein Geschenk
meines Mannes an mich war. Ohne seine Zustimmung und Unterstützung hätte ich
mir diesen Traum nicht erfüllen können. Man kann wohl sehr viel aus eigener
Kraft schaffen, aber richtig gut wird es nur mit der Unterstützung der eigenen
Familie! Und diese Unterstützung hat mir noch nie in meiner Ehe gefehlt. Danke,
mein lieber Mann! Und danke, liebe Frau aus Göttingen, dass Sie mich darauf
aufmerksam gemacht haben!
Am
nächsten Morgen gab es außer Wasser kein Frühstück und so liefen Sonja und ich
bis zur nächsten Kleinstadt namens Arzúa, die nur etwa 3,5 Kilometer entfernt
lag. Unterwegs regnete es mal wieder, was typisch für das galicische Klima war.
Immer abwechselnd Sonne und Regen, wie bei uns im April oder in den Tropen bei
wärmeren
Weitere Kostenlose Bücher