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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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in diesen bestimmten Augenblicken, die ein Geschenk sind. Man kann es
auch keinem anderen vermitteln, weil jeder Mensch anders empfindet. Man kann es
nicht mitnehmen und man kann es auch nicht wieder und wieder erleben (wollen),
weil es keine Wiederholung des gleichen Augenblicks gibt. Höchstens die
Erinnerung daran, die Dankbarkeit, es erlebt zu haben. In diesem Moment
erschien mir alles ganz klar. Man kann das Glück nicht erzwingen. Es sind nur
Momente, die man erleben und einfach nur genießen kann und die tiefe
Dankbarkeit erzeugen...
    Noch
völlig erfüllt von diesem prägenden Eindruck erreichte ich den nächsten
winzigen Ort, der Casanova hieß. Vor einem alten Bauernhaus mit bunten Blumen
in den Fenstern stand ein Holztisch mit einem Stempel, ohne dass ein Mensch zu
sehen war. Ich bediente mich und stempelte den Ort zur ewigen Erinnerung in
meinen Pilgerausweis. „Casanova“. Welch bemerkenswerter Name für ein so kleines Dorf. Vielleicht war es bei seiner
Gründung die herrliche Umgebung, die einen „Casanova“ hier zum Bleiben
animierte! Wer weiß das schon noch?
    Vor
dem letzten Haus des Dorfes standen Tische und Bänke und plötzlich fühlte ich
das dringende Bedürfnis, meine Gedanken sofort in mein Heft zu schreiben. Dies
war das erste Mal auf dem Weg, dass es mir so erging. Das kleine, neu
renovierte Haus stellte sich als Pilgerherberge heraus, die aber wegen des
frühen Vormittages gerade geschlossen war. Durch die Fenster konnte ich die
Doppelstockbetten und einen Kamin in den leeren Zimmern sehen. So machte ich es
mir draußen in aller Ruhe auf einer Bank gemütlich, und als ich fast mit
Schreiben fertig war, kamen die ersten Pilger vorbei. Auf einmal wurden es
immer mehr und mehr Menschen, die vorübergingen, und mir erschien es wie ein
Wunder, dass ich an diesem vergangenen herrlichen Wegabschnitt völlig allein
gewesen war. Niemals hätte ich diese Augenblicke so empfinden können, wenn ich
andere Menschen dabei gesehen und gehört hätte.
    Sollte
das der Sinn meines Weges gewesen sein, dieses Gefühl, dass man Glück nur im
Augenblick erleben kann? Dass man es nicht mit den Händen festhalten kann, weil
es sonst schmilzt wie eine Schneeflocke? Sollte das die Lektion des Loslassens
für mich sein? Lass alles los, damit du frei und offen bist für ein neues
Glück, einen neuen Augenblick? Kann es sein, dass es dann vielleicht sogar freiwillig
in dein Herz einzieht?
    Es
war, als hätte mich ein Stück vom Himmel gestreift, um mir zu zeigen, dass auch
ich es schaffen kann, loszulassen und glücklich zu sein. Ich musste es nur
wirklich wollen, und ich wollte es natürlich! Beschwingt und fast wie im Traum
packte ich meine Sachen und lief den anderen Pilgern hinterher. Wieder ging es
hügelauf und hügelab durch Wälder und Felder, bis ich auf einmal noch völlig in
Gedanken versunken meinen Namen rufen hörte.
    Das
erste Haus des nächsten kleinen, verstreuten Dorfes war ein Café und davor
saßen einige Pilger und aßen und tranken. Jemand winkte mir freudig zu. Es war
Sonja, die inmitten mehrerer Männer saß und sich anscheinend sehr wohl fühlte.
Sie freute sich sehr, mich zu treffen, und wollte gern mit mir weiterlaufen.
Dafür ließ sie sogar die Männer im Stich, was mich sehr verwunderte. Ständig
liefen uns nun andere Pilger über den Weg und Sonja kannte fast jeden und fast
jeder kannte sie. Trotz ihres recht zügigen Schritts, der mich oftmals ganz schön
aus der Puste brachte, erzählte sie fast unentwegt.

29.
Sonja und die Männer
     
    Gegen
Mittag erreichten wir Melide, eine unscheinbare Kleinstadt, die etwa 8000
Einwohner zählt und zwischen 400 und 500 Metern Höhe liegt. Hier suchten wir
uns ein günstiges Restaurant für ein Mittagessen. Nach einer ausgiebigen Rast
beschlossen wir, die bisher zurückgelegten sechzehn Kilometer noch etwas
aufzubessern. Ich staunte, wie schnell die kleine, etwas kräftige Sonja auch
weiterhin lief, obwohl sie doch Probleme mit ihren Füßen hatte. Sie trug im
Gegensatz zu mir nur Sandalen ohne Strümpfe und knielange Hosen. „Ja, ich laufe
mit meinem Hund jeden Tag mindestens zehn Kilometer, und das schnell. Ich bin
trainiert und zäh. Mich kriegt keiner so schnell kaputt!“, lachte Sonja, als
ich sie immer wieder bat, etwas langsamer zu laufen. Als sie von ihrem Hund
erzählte, fingen ihre Augen an zu leuchten. „Der wird sich freuen, wenn ich
wieder nach Hause komme. Der wird sich einmachen vor Freude!“ Auf meinen
verständnislosen Blick

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