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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Kleingedruckte am unteren Leinwandrand zu entziffern.
     
    Er zeigt Mitgefühl für meine Gebrechen, ich sage ihm, er soll damit aufhören, es bringt mich dem Grab näher.

D rei oder vier Tage lang hatte ich Ruhe.
    Ich dachte schon, die Rotzgöre wäre entlassen worden. Zu früh gefreut: Heute um elf, kurz vor dem Mittagessen, kreuzt sie plötzlich mit einem Bündel im Arm wieder auf. Irgendetwas an ihrem Aussehen hat sich verändert, aber ich weiß nicht, was.
    Ich setze meine Brille auf.
    Mit einem Blick erfasse ich den geschrumpften Bauch, die noch riesiger wirkenden Brüste und den seltsamen Wurm in seiner gelben Decke, drei Haare auf dem Kopf, zur Faust geballte Händchen, roter Mund, zusammengekniffene Augen.
    Sie sagt mit zufriedener Miene: »Er heißt Justin.«
    Ich stottere: »Ist … ist das deins?«
    Sehr scharfsinnig von mir.
    Sie nickt, lässt ihren grünlichen Kaugummi laut schnalzen und stößt in einem Atemzug, auf die Gefahr hin zu ersticken, die ganze Liste ihrer Leistungen hervor: »Er ist vorgestern um 17  Uhr  20 geboren, 2530 Gramm schwer und 48  Zentimeter lang, er ist Waage, man hat mir einen Kaiserschnitt gemacht, weil er sonst nicht durchgepasst hätte.«
    Ich nicke, unfähig zu beurteilen, ob es gut ist oder nicht,
Dschastin
zu heißen, Waage zu sein, um die fünf Pfund zu wiegen und mit Kaiserschnitt von einer vierzehnjährigen Mutter geboren zu werden.
    Ich bin ehrlich und gestehe ihr, ich hätte überhaupt nicht gesehen, dass sie schwanger war.
    Wie hätte ich auf so eine Ungeheuerlichkeit kommen sollen?
    Sie wirkt überhaupt nicht erstaunt.
    »Ich weiß, man hat es mir nicht angesehen, das haben alle gesagt.«
    Ich bestätige ihr, ohne zu erröten, ihr Bauch sei kaum zu erkennen gewesen.
    »Können Sie ein Foto von uns machen?«
    Sie hält mir eine kleine Digitalkamera hin. Wie soll man da nein sagen? Ich schieße zwei, drei Porträts der jungen Mutter mit ihrem frisch geschlüpften Balg. Sie hält sich sehr aufrecht und lächelt nicht.
    Dann fragt sie mich, ob ich den Kleinen mal kurz nehmen könnte, was ich mit höflichem Entsetzen ablehne, unter dem Vorwand, ich hätte keine Ahnung von Säuglingen.
    Sie fegt meine Ausreden vom Tisch: »Damit ich Sie beide knipsen kann. Sie müssen ihm nur den Kopf halten, sooo, ja, genau.«
    Und mir nichts, dir nichts hat sie mir den Wurm in die Arme gebettet, erstaunlich geschickt für ein Mädchen ihres Alters, das erst seit zwei Tagen Mutter ist.
    Die Krabbe riecht nach Weichspüler und leicht säuerlich nach ausgespuckter Milch.
    Ich unterdrücke die aufsteigende Übelkeit.
    Als der Kleine sicher in meinen Armen liegt, öffnet er ein chinesisch aussehendes Auge, mustert mich, als wäre ich weit weg, und scheint sich zu amüsieren.
    Ich staune dumm: »Er lächelt!«
    »Dann pinkelt er wahrscheinlich. Babys lächeln, wenn sie pinkeln, das hat mir die Krankenschwester gesagt.«
    Illusionen sind nur dazu da verlorenzugehen …
    Wobei ich den Knirps und sein wunderbares Wohlbehagen durchaus verstehe. Seit einiger Zeit ertappe ich mich selbst dabei, glückselig zu lächeln, wenn es mir endlich gelingt, meine Blase zu entleeren.
     
    Ich würde der jungen Mutter ja gern ein paar Fragen stellen. Aus reiner intellektueller Neugier, ohne jede Gefühlsduselei.
    Zum Beispiel: Warum zum Teufel hat sie dieses Kind behalten? Was hat sie genau damit vor? Ahnt sie mit ihren vierzehn Jahren, was sie für ein hartes Leben erwartet?
    Aber sie scheint sich nicht groß den Kopf zu zerbrechen, oh nein. Sie fotografiert uns von allen Seiten, den Bonsai und mich, mit Zoom, ohne Zoom, mit Blitz, ohne Blitz.
    Die Stationshelferin kommt mit meinem Mittagessen herein und lässt vor Überraschung beinahe das Tablett fallen.
    Sie stürzt sich verzückt auf den Säugling, gurrt du-du-du und kille-kille – Frauen können ja wegen nichts und wieder nichts in Rührung verfallen. Als sie mir, dem glücklichen Großvater, gratuliert, bringe ich vor Schreck kein Wort heraus.
    Maëva reagiert nicht einmal darauf, sie sagt einfach: »Ich muss seine Windel wechseln gehen, außerdem ist es Zeit zum Stillen.«
    Und im Hinausgehen: »Ich kann dann erst heute Abend wiederkommen, wegen Facebook.«
     
    Ich kann mich gerade noch zurückhalten, beinahe hätte ich geantwortet: »Kein Problem, komm, wann du kannst.«
    Es bekommt mir nicht, hier zu sein, ich verweichliche allmählich.

A ls Annie mit neununddreißig ihre dritte Fehlgeburt hatte, ließ sie sich die Eileiter abbinden und

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