Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
krepieren, um so viele
Freunde
von sonst woher anzusammeln, ohne die man prima leben konnte, bevor man auf Facebook war, und in deren Gesellschaft man es unter normalen Umständen nicht einmal zehn Minuten aushalten würde.
Maëva hat ihre Fotos in die Welt geschickt, sie steht auf.
»Mach bitte nicht aus, ich will dann meine Mails abrufen.«
»Okay, alles klar.«
Sie stellt den Computer wieder auf dem Nachttisch ab, als wäre er ein rohes Ei.
»Ich geh nach dem Mittagessen.«
»Ich nehme an, du freust dich?«
»Klar, das ist cool. Ich kann’s kaum erwarten.«
»Ach und übrigens, der Vorname Justin …«
Ich bemühe mich, ihn wie sie auszusprechen, amerikanisch.
»Du hast mir gar nicht gesagt, was er bedeutet? Weißt du es?«
Sie lächelt. Das eröffnet mir aus der Froschperspektive den Blick auf ihren Kaugummi voller Spucke, den sie sich zwischen zwei Backenzähne geklemmt hat.
»Klar. Er bedeutet ›der Gerechte, der Vernünftige‹ …«
»Dann hoffen wir mal, dass er das sein wird!«
Sie lacht.
»Na, dann …«
Sie erinnert mich an meinen Bruder. Sie windet sich, weiß nicht, wie sie sich von mir verabschieden soll. Schließlich platzt sie heraus: »Also, dann geh ich mal.«
»Genau, mach’s gut. Und denk dran, dir einen Computer zu kaufen!«
Sie kichert. Sie zögert etwas, dann: »Ich hoffe, dass Sie bald rauskommen. Und dass … dass es gehen wird.«
Ich zwinkere ihr zu.
»Mach dir um mich keine Sorgen, ich bin hart im Nehmen, ich hab schon viel erlebt!«
Sie nickt, winkt mir kurz zu und verschwindet aus meinem Zimmer und meinem Leben.
Ohne die Tür hinter sich zuzumachen.
Ich werde Serge eine kurze Nachricht schreiben, er macht sich sicher total verrückt. Wer täte das in seiner Lage nicht.
Die Rotzgöre hat ihre Facebook-Seite offen gelassen. Ihre »Pinnwand«, wie die Anhänger der neuen Sekte sagen. Sie ist voll mit dämlichen Sprüchen – dermaßen gespickt mit Rechtschreibfehlern, dass es schon fast poetisch ist – und mit Fotos von jungen Idioten, die Grimassen schneiden, zwei Finger hinter den Kopf ihres Kumpels halten oder schielen. Nichts Neues in der Welt der saufenden Jugend.
Ich bin neugierig, also schaue ich mir ihr Album an, da ihre Privatsphäre nun mal zur Selbstbedienung offen steht.
Ich entdecke das Gesicht des jungen Vaters, des besagten »zwanzigjährigen« Lucas. Er ist ein kleiner Dicker mit einem netten Gesicht, er wirkt anständig, geradeheraus, unkompliziert. So ein Typ, von dem man schon in der Wiege weiß, wie er fünfundfünfzig Jahre später aussehen wird. Es gibt eine Reihe Aufnahmen von ihm und der Rotzgöre, die immer runder wird, auf einem Volksfest, in einem Café, mit einer Gruppe von Freunden auf einer Treppe. Das Ganze mit Bildunterschriften versehen:
Schatzi und ich auf dem Volxfest
;
Magalis Geburstag, war supperlustig
;
Schatzi und ich, schon ein Jar!
An der Art, wie sie sich aneinanderschmiegen, erkennt man, dass es Liebe ist, auch wenn er nicht ihr
Liebster
ist.
Und dann sind da drei Fotos, die hier aufgenommen wurden, in meinem Zimmer.
Zwei von denen, die ich von der jungen Mutter und ihrem Spross gemacht habe.
Mein kleiner Liebling
, sagt die Bildunterschrift. Und eins von mir, mit dem Baby im Arm. Ich mit meinem dämlichen alten Misanthropen-Gesicht, griesgrämig und schlecht rasiert. Ich, ganz unbeholfen mit dem undichten Wurm auf dem Arm.
Und darunter die Bildunterschrift:
Justin und sein Opa Jean-Piere
.
Sie hat Pierre mit nur einem
r
geschrieben.
Das ist wirklich kein Grund, so erschüttert zu sein.
I ch ziehe mich gerade an. Die Tür fliegt auf, dann klopft die Stationshelferin.
Sie kommt seitwärts herein, wie auf einem ägyptischen Basrelief, hält den Kopf zum Flur gedreht und spricht einen Satz zu Ende, der nicht an mich gerichtet ist. Ich höre, wie ihre Kollegin laut lacht.
Die, die hereingekommen ist, ruft noch hinterher: »Du hättest mal ihr Gesicht sehen sollen!«, dann flötet sie immer noch lachend in meine Richtung: »Guuuuten Tag, das wurde am Empfang für Sie abgegeben!«
Sie wirft einen Umschlag auf den Tisch und geht wieder, natürlich ohne die Tür hinter sich zu schließen.
Ich kämpfe mich vollends in meine Hose hinein, während ich höflich auf die Grüße all derer antworte, die im Flur vorbeigehen.
In dem Umschlag sind meine Schlüssel.
Camille hat es nicht mal für nötig gehalten, sie mir persönlich zurückzugeben. Eine ziemlich abschätzige Art, mir mitzuteilen, dass
Weitere Kostenlose Bücher