Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Ich schluckte trokken und ging weiter.
Im Oberdorf lief mir Annamarie bereits lachend entgegen. Vierzehn Jahre war sie schon alt geworden. Munter hing sie sich an meinen Arm.
»Vater! Die Großmutter fragt schon den ganzen Tag, wann du kommst!« plauderte sie und erzählte von dem neuen Rad, das ich ihr vor kurzem gekauft hatte. »Es läuft sehr gut … Ich fahr’ schon schneller als alle Buben.« Übermütig hüpfte sie. »Das wird die Großmutter freuen, daß du da bist! Wie lang bleibst du denn?«
Sonderbar, bei dem Gedanken, wieder in die Stadt zu müssen, wurde ich unruhig.
»Nicht gar lang«, sagte ich, »morgen oder übermorgen fahr’ ich wieder weg!«
»Ah, geh! Bleib doch einmal länger!« rief sie unbekümmert, »immer gehst du gleich wieder. Die Großmutter wird jedesmal so traurig, wenn du wegfährst!« Und leise und geschwind erwähnte sie von den Streitigkeiten, die der Maurus und die Theres hatten.
»Das tut ihr so weh«, sagte sie von der Mutter. Kurz darauf, als ich in der wackeligen Kuchl stand, befiel mich eine jähe Bedrängnis.
»Mein Gott, Mutter! … Jetzt kommt eine ganz furchtbare Zeit! Ganz entsetzlich kann’s werden!« sagte ich. Sie schaute mich an und meinte unberührt: »Ja ja, man sagt’s überall … Ich bin froh, daß ich ein altes Weib bin und nichts mehr erleb’ … Das Schönste haben wir hinter uns.«
Sie musterte freudig den großen Schinken und die Flasche Wein, die ich mitgebracht hatte, und redete weiter: »Soviel Geld gibst du immer aus! Das braucht’s doch nicht!« So ungefähr redete sie jedesmal.
Ich blickte sie unvermerkt an. Ihre breiten, eckigen Schultern hingen ein bißchen nach vorne. Das graue, durchsichtig dünne Haar schmiegte sich karg und glatt an ihren rundgewölbten Kopf. Der Knoten im Nacken war noch winziger geworden. Ihr Gesicht hatte eine gesunde braune Farbe und erinnerte mich an gegerbtes Leder. Die Schläfen waren tief eingebuchtet, und die hervortretenden Backenknochen fielen jetzt mehr auf, da sie nur noch wenige Zähne hatte und das Gebiß, das sie sich zu Vaters Zeiten einmal hatte machen lassen, nie benützte. Immer noch glänzten ihre kleinen, tiefliegenden Augen verschmitzt, lebhaft und zugleich gelassen. Langsam und bedacht schienen ihre Bewegungen, aber durchaus noch sicher. Es ging mir durch den Kopf: »Sie wird auch die schlimmste Hitlerei nicht ändern! Hm, und so wie sie gibt’s doch Tausende? … Wer ist eigentlich stärker? Die Macher oben oder diese Kleinen unten?«
Laut aber fragte ich sie: »Was machen denn deine offenen Füß’?«
»Die … Ja, arg steif sind sie in der Früh’, wenn ich aufsteh’, aber sie laufen sich nach und nach schon wieder ein«, antwortete sie.
Die Annamarie brachte Bier und stellte es auf den Tisch.
»Vater«, sagte sie verschnaufend, »jetzt solltest du da sein! Wie’s jetzt oft zugeht bei uns … Jede Nacht marschieren sie zur Übung, bald sind’s die Hitler, dann wieder die ›Bayernwacht‹ … Und grad krachen tut’s, die Großmutter schreckt jedesmal aus dem Schlaf …«
»Ja«, meinte die Mutter ungut, »und nachher saufen sie beim Hofmann drunten und plärren herum, daß du kein Aug’ zubringst … Auf einmal haben sie’s wieder mit der Soldatenspielerei … Wenn’s ernst wird, werden sie gleich anders schauen …«
»Die bringen ja die schönen Zeiten! … Die bringen auch wieder den Krieg!« sagte ich. »Wenn nichts mehr stimmt im Staat – was tut man? Man fängt wieder mit dem Militär an, und Militär ohne Krieg gibt’s nicht … Annamarie, die dummen Kerl sind lauter Taugenichtse.«
Ich trank mein Bier aus und ging zum Maurus hinunter. Er und seine Frau arbeiteten ohne Hast, denn jetzt im Herbst war stillere Zeit.
Maurus redete erst, was man eben so redet. Dann wurde er ernst, schaute mir in die Augen und sagte sonderbar verhalten: »Oskar, hm, ich denk’ in der letzten Zeit oft an dich. Ich weiß gar nicht, woher das kommt, hm, sonderbar!« Er hielt inne, schnaubte schwer und fuhr fort: »Es ist vielleicht alles bloß Einbildung, aber wenn ich dir raten darf, kümmere dich lieber nichts mehr um die politischen Sachen! … Ich les’ jetzt grad immer die Römische Geschichte! Das kommt mir oft vor wie heut … Da haben sie sich auch alle nacheinander umgebracht …«
»Ja«, sagte ich, »da kannst du recht haben.« Er rührte den Kuchenteig ineinander, und die Mimi schüttete Rosinen und Weinbeeren dazu.
»Der kleine Mann wird immer
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