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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Bavarski und Austria taugt zu nichts! … Geflenn und Meßämter bringen diesen muschkotischen Prussien Bismarck nicht um!« In jenen Jahren nämlich beteten die Leute in allen bayrischen Kirchen, der Allmächtige möge ihr Land vor diesem »finsteren, grundfalschen, verderbten lutherischen Antichrist« gnädigst bewahren.
    Die Urahnen der Grafs waren einst aus dem Salzburgischen nach Bayern eingewandert und hatten sich nach allerhand Irrfahrten am Seeufer seßhaft gemacht. Niemand wußte Genaueres über ihre Herkunft, doch noch jetzt galten sie nicht als rechtmäßige Einheimische. Sie wurden gemieden und waren verachtet wegen ihrer Armut. Beim Müller war zuerst der hämische Schimpf über sie aufgekommen: »Sie wimmeln wie die Wanzen und saugen sich, wenn man nicht acht gibt, an jedem fest.«
    Die Müllerischen hatten seit jeher als grobschlächtig nüchtern, unbarmherzig bauernstolz und rechthaberisch gegolten. Sie waren im Gegensatz zu den breitschulterigen, gedrungenen Heimraths große, hagere, starkknochige Menschen mit humorlosen Gesichtern.
    Der Heimrath ließ seine Bäuerin gern regieren, aber er machte im Grunde genommen doch stets, was er für gut hielt. Darum kamen die Eheleute gut miteinander aus.
    »Man braucht ja nicht streiten«, sagte er listig, »man muß bloß nicht alles sagen und die anderen reden lassen.«
    Er war der letzte männliche Heimrath, und wenn es wahr ist, daß oft nach Jahrhunderten in irgendeinem einzigen späten Nachkommen alles das, was das ganze Geschlecht ausgezeichnet hat, ungebrochen zum Vorschein kommt – von ihm hätte sich das sagen lassen. Die Resl hatte viel von ihm.

Begebenheiten
    Zweifellos bleibt das Bild der Kindheit in einem Menschen bis zu seinem Tode gleichmäßig lebendig. Mag sein, daß mit der Ausgeglichenheit des Älterwerdens die Erlebnisse von damals, soweit sie scheinbar unvermerkt aus der täglichen Umgebung und Gewohnheit hervorgegangen sind, nun, da sie ihrer Bestimmung gemäß den Menschen geformt haben, die Kraft der Eindringlichkeit und das unmittelbar Überraschende ein wenig eingebüßt haben. Das Liebliche oder Drangvolle, ja sogar der Geruch der einstigen Empfindung sind dennoch geblieben. Der Schmerz ist verweht, und auch die Freude ist nur noch milde Erinnerung, aber nichts ist vergessen, die Farben auf dem Bild sind nur leicht verblaßt. Sie gewinnen sogleich wieder die ursprüngliche Leuchtkraft, wenn uns ein ähnlicher Schmerz überfällt oder eine gleichartige Freude beglückt. Um wieviel heftiger aber erst ergreift uns der unverlöschte Schauder von einst, wenn wir uns an ungewöhnliche Erlebnisse aus jener Zeit erinnern!
    An einem verregneten Abend in der zweiten Hälfte des Septembers trugen die Heimrath-Zwillinge unausgesetzt das Werg des eben gebrochenen Flachses in die gute Stube. Die Haufen auf dem Boden wurden höher und höher und reichten zuletzt fast bis zur Decke. Die Spinnräder standen da. Nach der Stallarbeit, nach dem Nachtmahl und Gebet pflegten im Herbst und im Winter die Bäuerin und ihre zwei ältesten Töchter, die Genovev und die Resl, noch etliche Stunden zu spinnen. Wenngleich dadurch der Faden für das feste, grobe Leinen gewonnen wurde, das die Töchter später einmal in die Ehe mitbekommen sollten – diese beschauliche Beschäftigung, wobei man sitzen konnte, galt im Haus nicht viel. Man hielt sie für eine Art spielerisches Ausruhen.
    Es wurde stockdunkle Nacht. Der Heimrath, die Knechte, die Mägde und die zwei jüngsten Kinder waren zu Bett gegangen. Der dichte Regen rauschte eintönig hernieder. Die dicken Tropfen trommelten sanft auf die Fensterscheiben. Die Petroleumlampe, in der Mitte der Stube hängend, verbreitete ein spärliches Licht. Die buntbemalte Uhr an der Wand tickte einschläfernd gemächlich, und hin und wieder bellte der Hund im Hof kurz auf, knurrte noch eine Weile und verstummte. Nur die Spinnräder surrten, und ab und zu quietschten sie auch leise.
    »Morgen heißt’s früher raus!« sagte die Heimrathin einmal nebenher, befeuchtete die breiten Innenflächen ihres Daumens und Zeigefingers und zwirbelte damit den unregelmäßig gewordenen Faden glatt: »Die Aufhauser und Aufkirchener sind die ersten bei der ewigen Anbetung.« Einer alten kirchlichen Anordnung zufolge traten alljährlich am 20. September die Dörfer des Sprengels dem Alphabet nach in der mit Birkenzweigen geschmückten Pfarrkirche jeweils zu einem stundenlangen Litanei- und Rosenkranzbeten an. Genau genommen sollte diese

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