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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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voller Bonbons und Brownies und all den anderen Sachen, die die Eltern eigentlich nicht schicken sollen.«
    »Aber wusstest du nicht, dass Larry unglücklich war?«
    Doch, Helen hatte es gewusst. Geradeso gut hätte Ariel ihr ein schmales Messer in die Brust stoßen können, so grausam war die Frage. »Ariel, wenn du selbst einmal Kinder hast, wirst du feststellen, dass du deine Entscheidungen an dem ausrichtest, was du für das Beste für dein Kind hältst. Und wir haben es bei Larry für das Beste gehalten, dass er seinem Heimweh nicht nachgibt. Aber erzähl doch mal, wie laufen deine Kurse?«
    Sie hörte nicht zu, als Ariel antwortete. Sie dachte daran, wie elend ihr vor ein paar Tagen auf der Wanderung gewesen war. Wie sie trotzdem versucht hatte, weiterzugehen, um es Jim recht zu machen. Sie dachte an die Besuchstage in Larrys Sommerlager – wie ihr jedes Mal das Herz geblutet hatte, wenn sie ihn sah, so voller Hoffnung, weil er sich all diese hervorragenden Gründe zurechtgelegt hatte, warum er dringend früher heim musste, und dann seine Verzagtheit, wenn ihm klarwurde, dass es nichts fruchtete, dass er noch vier Wochen bleiben musste. Warum hatte sie nicht darauf bestanden, dass sie ihn mit nach Hause nahmen? Weil Jim der Meinung war, dass der Junge sich zusammenreißen sollte. Weil zwei Menschen nicht gänzlich unterschiedlicher Meinung sein können, ohne dass einer zurückstecken muss.
    Helen hatte Lust, Ariel etwas Verletzendes zu sagen, und als Ariel auf den Vordersitz langte und ihr eine Schachtel mit Keksen überreichte, die sie ihnen ganz frisch gebacken hatte, bemerkte Helen: »Ich esse ja keine Schokolade mehr. Aber Jim wird sich ihrer schon erbarmen.«

6
    An der Gepäckausgabe am Flughafen konnte Bob Susan nicht finden. Er sah Reisende in Sandalen und Strohhüten, Reisende mit dicken Jacken und kleinen Kindern, kopfhörerbewehrte Teenager, die schlaff über Kofferkulis hingen, während ihre Eltern, alle jünger als Bob, besorgt auf das laufende Gepäckband starrten. Nicht weit von ihm tippte eine dünne grauhaarige Frau auf ein Mobiltelefon ein, die Handtasche fest unter den Arm geklemmt, den Fuß schützend an einen kleinen Koffer geschoben. »Susan?«, sagte er. Sie sah so anders aus.
    »Du siehst so anders aus«, sagte sie, als sie das Handy zurück in die Handtasche steckte.
    Er rollte ihren kleinen Koffer zur Taxischlange.
    »Ist hier immer so ein Gedränge?«, fragte Susan. »Das ist ja schlimmer als in Bangladesch. Guter Gott.«
    »Wann warst du zum letzten Mal in Bangladesch?« Das könnte von Jim sein, dachte er. Er schob nach: »Wir machen uns eine schöne Zeit, keine Angst. Und wir fahren nach Brooklyn und besuchen Jim. Ich hab ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.« Susan beobachtete den Taxi-Dispatcher, ihr Kopf folgte den Bewegungen, mit denen der Mann die Schlange abarbeitete, seine Trillerpfeife blies, rief, Taxitüren aufriss. Bob fragte: »Was hörst du von Zach?«
    Susan langte in ihre Handtasche und setzte eine Sonnenbrille auf, obwohl keine Sonne schien. »Dem geht’s gut.«
    »Sonst nichts?«
    Susan sah zum Himmel hinauf.
    »Bei mir hat er sich schon länger nicht mehr gemeldet«, sagte Bob.
    »Er ist wütend auf dich.«
    »Wütend? Auf mich?«
    »Er lebt jetzt in einer Familie, und da fragt er sich, wo du und Jim all die Jahre gesteckt habt.«
    »Und wo sein Vater all die Jahre war, fragt er sich nicht?«
    Susan gab keine Antwort. Als sie ins Taxi stiegen, schlug Bob seine Tür sehr fest zu.
    Er ging mit ihr zum Rockefeller Center. Er ging mit ihr in den Central Park und zeigte ihr die goldbesprühte junge Frau. Er ging mit ihr in ein Broadway-Musical. Sie nickte zu allem wie ein gehorsames Kind. Er überließ ihr sein Bett und schlief auf der Couch. An ihrem zweiten Morgen saß sie am Tisch, den Kaffeebecher in beiden Händen, und fragte: »Fürchtest du dich gar nicht, so hoch oben? Was ist, wenn es brennt?«
    »Darüber denke ich nicht nach«, sagte er. Er rückte seinen Stuhl näher an den Tisch heran. »Hast du eigentlich irgendeine Erinnerung an den Unfall?«, fragte er.
    Überrascht sah sie ihn an. »Nein«, sagte sie nach einer Weile mit kleiner Stimme.
    »Gar keine?«
    Ihr Gesicht war offen, arglos; ihr Blick wanderte hin und her, während sie nachdachte. Sie sprach tastend, als hätte sie Angst, die falsche Antwort zu geben. »Ich glaube, es war ein sehr sonniger Tag. Irgendwie bilde ich mir ein, dass alles ganz stark geblendet hat.« Sie schob ihren Becher

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