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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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weg. »Aber vielleicht hat’s auch geregnet, keine Ahnung.«
    »Es hat nicht geregnet. An die Sonne erinnere ich mich auch.« Sie hatten nie vorher an das Thema gerührt, und Bob ließ den Blick durchs Zimmer wandern, als dürfte er um keinen Preis zu ihr hinschauen. Seine Wohnung war noch neu genug, um unvertraut zu sein, die Küche so sauber, dass es blitzte. Kein Studentenwohnheim, auf die Idee würde Jim hier nie kommen; keine Wohnung, in der es Bob einfiel, zum Fenster hinauszurauchen. Er bereute schon, den Unfall überhaupt erwähnt zu haben; hätte er sie zu Einzelheiten ihres Intimlebens mit Steve befragt, seine Befangenheit hätte nicht größer sein können. Selbst seine Arme waren bleiern vor Scham.
    Susan sagte: »Ich dachte immer, ich wäre es gewesen.«
    »Was?« Jetzt sah Bob sie doch an.
    »Mhmm.« Sie erwiderte seinen Blick kurz, starrte dann auf ihre Hände hinunter, die sie im Schoß gefaltet hielt. »Ich dachte, deshalb würde mich Mom dauernd anschreien. Euch hat sie nie angeschrien. Also bin vielleicht ich schuld – das habe ich ganz oft gedacht. Und seit Zach weg ist, habe ich diese furchtbaren Alpträume. Ich kann mich an nichts erinnern, wenn ich aufwache, aber sie sind grauenhaft . Und sie, na ja, irgendwie fühlen sie sich so an.«
    »Susie, du weißt genau, dass du es nicht warst. ›Alles nur wegen dir, du Dummer‹ – das hast du doch ständig zu mir gesagt, als wir klein waren.«
    Susans Augen weiteten sich betroffen. »Oh, Bobby. Natürlich hab ich so was gesagt. Ich war ein verängstigtes kleines Kind.«
    »Du hast es nicht so gemeint, all die Male?«
    »Was weiß ich, was ich gemeint habe.«
    »Jim fing neulich mal davon an. Er erinnert sich noch. Behauptet er jedenfalls.«
    »Und woran erinnert er sich?«, fragte sie.
    Aber Bob brachte es nicht über die Lippen. Er legte die Hände flach auf den Tisch. Er zuckte die Achseln. »An einen Krankenwagen. Die Polizei, glaube ich. Aber du warst es auf keinen Fall. Also mach dir bloß keine Gedanken deswegen.«
    Eine lange Zeit saßen die Zwillinge schweigend da. Vor dem Fenster glitzerte der Fluss. Schließlich sagte Susan: »Hier ist alles so teuer. Eine Tasse Kaffee kostet so viel wie daheim ein ganzes Sandwich.«
    Bob stand auf. »Wir sollten langsam mal los.«
    Auf dem Korridor rief Murray »He!«, und dann ging es reihum ans Händeschütteln. Rhoda fasste Susan am Arm. »Wo hat er Sie schon überall hingeschleppt? Lassen Sie ihn das Programm nicht zu voll packen, das macht nur müde, und davon hat keiner was. Nach Brooklyn? Zu Ihrem berühmten Bruder? Hat uns sehr gefreut, recht viel Spaß noch!«
    Draußen auf dem Gehsteig sagte Susan: »Bei solchen Leuten weiß ich nie, was ich sagen soll.«
    »Bei freundlichen, herzlichen Leuten? Klar, da bleibt einem das Wort im Hals stecken.« Wieder hatte Bob das Gefühl, wie Jim zu klingen. Aber es war unfassbar, wie müde sie ihn machte.
    In der U-Bahn saß sie regungslos da, beide Hände um die Handtasche auf ihrem Schoß gekrampft, während Bob an seiner Halteschlaufe hin und her schwankte. »Diese Strecke bin ich bis vor kurzem jeden Tag gefahren«, erzählte er ihr, und sie erwiderte nichts. »He«, sagte er. »Wegen vorhin. Du warst es nicht, keine Sorge.«
    Nichts verriet, dass sie ihn gehört hatte, nur ihr Blick streifte ganz kurz den seinen. Sie fuhren jetzt oberirdisch, und Susan wandte den Kopf, um aus dem Fenster zu schauen. Er versuchte ihr die Freiheitsstatue zu zeigen, aber bis sie in die Richtung sah, in die seine Hand deutete, war es schon zu spät.
    »Lange nicht gesehen«, sagte Helen an der Tür und trat zur Seite. Sie wirkte verändert. Kleiner, älter, weniger hübsch.
    »Ich hab mich ein bisschen rar gemacht, tut mir leid«, sagte Bob, und darauf Helen: »Ich verstehe schon. Du hast dein eigenes Leben.«
    »Na, Goofy! Mit unserer langverlorenen Schwester im Schlepp, wie geht’s, wie steht’s, Susan?« Jim kam ins Zimmer, groß, sehr schlank. Er klopfte Bob auf die Schulter, umarmte Susan flüchtig. »Und, gefällt’s dir in der großen Stadt?«, fragte er sie.
    Helen sagte: »Du schaust ja so verschreckt, Susan.«
    Susans erste Frage galt der Toilette, wo sie sich auf den Badewannenrand sinken ließ und weinte. Sie hatten keine Ahnung. Das Problem war nicht New York, das sie scheußlich fand und das leicht grotesk auf sie wirkte, wie ein überfüllter Jahrmarkt, der bis zum Horizont ging – die Wiese mit Beton ausgegossen, die Fahrgeschäfte unter der Erde statt

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